Rezension: Im Netz der Filmgenres

Rezension von Stefan Servos

Im Netz der Filmgenres
„The Lord of The Rings“ und die Geschichtsschreibung des Fantasygenres.

Von Sonja Schmid

Zunächst einmal sei klar gestellt, dass es sich bei dem vorliegenden Werk „Im Netz des Filmgenres“ nicht um ein populärwissenschaftliches Sachbuch im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr um eine in Buchform gebundene Dissertation handelt, herausgegeben in der Reihe „Medienwissenschaften“ im Tectum Verlag. Dementsprechend ist der Inhalt in Aufbau, Sprache und Stil aufbereitet, mit ausführlichen Quellenangaben und Fußnoten. Ein sprach- und literaturwissenschaftlicher Text, wie er im Buche steht, sozusagen. Nun halte ich persönlich die Genre-Forschung für eines der eher langweiligen und zudem überflüssigen Forschungsgebiete der Literaturwissenschaften, lasse mich aber gerne auch vom Gegenteil überzeugen.

Im Mittelpunkt des Buchs steht der Versuch einer Definition des Fantasy-Genres am Beispiel von Peter Jacksons „Der Herr der Ringe“. Wobei die Sinnhaftigkeit einer Kategorisierung und Einordnung von Filmen in ein konkretes Genre sich mir persönlich nie erschlossen hat und sie meines Erachtens ausschließlich im Rahmen der Verkaufsthematik (in welchem Regal finde ich eigentlich „Harry Potter“?  – Schauen Sie mal bei „Fantasy“) gegeben ist. Selbstverständlich beschäftigt sich auch Schmid mit der Frage nach dem Sinn einer Einordnung, und sieht diesen vor allem darin, dem Zuschauer eine Orientierung an die Hand zu geben, beispielsweise beim Lesen einer Filmkritik. Gleich zu Beginn weist Autorin Sonja Schmid auch auf die Problematik der Genrefizierung hin, aber sie hat sich nun mal auf dieses Abenteuer eingelassen und holt entsprechend weit aus, denn die Geschichte der Genrebestimmungen hat über 2000 Jahre auf dem Buckel. Nach etwa 150 Seiten über die Probleme der Konkretisierung des Fantasy-Genres, gibt es zunächst inhaltliche Abstecher zu Erzählstruktur nach Campbells Heldenreise-Modell (Monomythos), Eskapismusvorwürfen, etc… . Man kann Schmid nicht vorwerfen, dass sie das Thema nicht umfassend abgedeckt hätte. Aber immer wieder wird betont, wie schwer es sei, das Genre eindeutig auf bestimmte Merkmale festzulegen und zu präzisieren. Und damit dreht sie sich dann auch irgendwie ständig im Kreis. Es gibt halt einfach zu viele Ausnahmen in der Welt der Genres und die werden dann schnell zur Regel.

Nach schließlich gut 190 Seiten Definitionsversuchen, Abstechern in die Geschichte und dem Erläutern von Beispielen kommt Schmid schließlich zum Forschungsgegenstand „Der Herr der Ringe“ und wir ahnen bereits, dass auch diese Fantasy-Verfilmung nicht alle Merkmale aufzeigen bzw. Kriterien des Genres erfüllen kann. Zudem wird schon bald Schmids Bewunderung für die Verfilmung deutlich, wenn sie Detailreichtum oder Realismus bei Jackson in höchsten Tönen lobt, soweit das im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit möglich ist. Aber dadurch trifft Schmid natürlich genau auf den Punkt, was die Fans an „Der Herr der Ringe“ Verfilmung so mögen. Hier ein kurzer Auszug:

“Ebenso zielt das Filmteam auf eine Ausweitung des Handlungsortes auf eine vollständige Welt, ein eigenes Universum mit einer eigenen Geschichte und Vergangenheit ab. Dies ist zum einen bereits auf der Handlungsebene motiviert, auf der mehrfach auf die Vorgeschichte Mittelerdes und die vergangenen zwei Zeitalter verwiesen wird; zudem wird manchen Objekten Mittelerdes bewusst ein altertümliches, teilweise verfallenes Aussehen verliehen, wie zum Beispiel dem Schauplatz des Amun Hen [sic!], dem ehemaligen Hochsitz von Gondor, welcher im Film nur noch in Ruinen existiert, oder den riesigen Statuen der Argonath, die stark verwittert wirken. […] Obwohl also Jacksons Mittelerde eine – fantastische – Sekundärwelt darstellt, könnte sie aufgrund der Authentizität, detailgetreuen Darstellung, Komplexität und Kohärenz des etablierten Realitätssystems ein (unbekannter) Ausschnitt einer historischen Epoche unserer Vergangenheit sein.“ – Zitat S. 194, 195

Weiter hebt Schmid auch die Komplexität der Figuren hervor, die ihrer Meinung nach in „Der Herr der Ringe“ eben nicht schwarz und weiß, sondern alle sehr ambivalent gezeichnet seien, was dem heutigen Anspruch der Zuschauer entspreche. Dadurch falle ihr dann aber auch die Zuordnung der Figuren nach dem eindeutigen, mythologischen Konzept, beispielsweise Gollum als der „Trickster“, schwer.

Nun folgt so etwas wie ein wissenschaftlicher Spoiler : Schmid kommt nämlich schließlich zu dem Fazit, dass Peter Jackson seine Verfilmung nicht dem Fantasy-Genre untergeordnet, sondern viel mehr das Genre durch seine Verfilmung erweitert hat. Zwar kritisiert Schmid später die Bezeichnung bestimmter Werke eines Genres als „Meilensteine“, da dies die Werke automatischen zu Prototypen des Genres klassifizieren würde, tut es dann aber mit „Der Herr der Ringe“ selbst. Und so bestätigt sich am Ende, was Schmid bereits am Anfang vermutet hat, nämlich, dass eine Klassifizierung immer schwierig (wenn nicht sogar unmöglich) ist. Genres verändern sich dynamisch und organisch, beeinflussen und vermischen sich gegenseitig. Die Grenzen sind schwammig und undeutlich. Schließlich folgt ein ausführlicher Diskurs zur Vermarktung und Rezeption des Franchises, für mich persönlich der interessanteste Abschnitt der Dissertation.

Mit jeder Seite und bei jedem Satz merkt man, wie unglaublich viel Recherchearbeit in diesem Buch steckt. An verfügbarer Sekundärliteratur zu Tolkien hat Schmid auch nichts ausgelassen, ob Carpenter, Shippey, Kristin Thompson, sie alle werden referenziert und berücksichtigt. Mit „Im Netz des Filmgenres“ hat sich Schmid ohne Zweifel ihren Platz in der Sekundärliteratur-Ecke einer jeden Tolkien-Sammlung verdient. Wirklich interessant ist das Buch aber letzten Endes nur für diejenigen, die sich selbst literaturwissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzen. Wer dazu nicht bereit ist, wird an dem Text eher wenig Freude haben. Alle anderen finden in dieser Dissertation eine außergewöhnlich gut recherchierte Auseinandersetzung mit dem Fantasy-Genre, beziehungsweise dessen Bestimmung.

sonjaschmidSonja Schmid
Im Netz der Filmgenres
„The Lord of the Rings“ und die Geschichtsschreibung des Fantasygenres
Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Medienwissenschaften | Band 27
ISBN 978-3-8288-3296-1
294 Seiten, Hardcover
Tectum Verlag 2014

Journalist und Autor Stefan Servos betreibt die herr-der-ringe-film.de Website und ist Star der Geek Show Show. Er veröffentlichte unter anderem das Spaceview Special Bilbos Reise zum Erebor und Rezepte aus dem Auenland. Er gilt als der deutsche Experte zu den “Herr der Ringe”- und “Hobbit”-Filmen von Peter Jackson und hat bereits als Berater für den deutschen Filmverleih gearbeitet, half bei der Synchronisation der Filme und besuchte Dreharbeiten in Neuseeland. Er studierte Technikjournalismus an der FH Bonn-Rhein-Sieg.

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