Schriftsteller, Sprach- und Literaturwissen-schaftler
Die Kindheit Tolkiens war geprägt durch den frühen Tod der Eltern: Sein Vater Arthur Reuel starb 1896 in Südafrika, seine Mutter Mabel 1904 in Birmingham. Noch vor dem Tod Arthurs war Mabel mit ihren beiden Söhnen aus gesundheitlichen Gründen nach Birmingham gezogen, wo sie diese zunächst selbst unterrichtete, bis sie eine grammar school, die King Edward’s School in Birmingham, besuchen konnten. Nach der Konversion der Mutter zum Katholizismus 1900 wurden die beiden Söhne katholisch erzogen, was zu einem Bruch mit ihrer Familie führte. Nach Mabels Tod wurde Father Francis Morgan, ein katholischer Priester aus dem von John Henry Newman gegründeten Oratorium in Birmingham, deren Vormund.
Zeit seines Lebens war Tolkien praktizierender Katholik mit ausgeprägter Spiritualität und Frömmigkeit. Gleichzeitig faszinierten ihn Sagen und Legenden aus vorchristlicher Zeit. Schon während seiner Kindheit und Schulzeit zeigte sich auch seine Begeisterung für Sprachen – so erfand er schon sehr früh eigene Sprachen – und seine literarische Begabung, die sich in mehreren Gedichten niederschlug. Nach der Schulzeit studierte Tolkien in Oxford zunächst Klassische Philologie, später Englische Philologie. Während des Ersten Weltkriegs legte er im Sommer 1915 die Abschlussprüfung in englischer Sprache und Literatur mit Auszeichnung ab, anschließend wurde er zu den Lancashire Fusiliers einberufen.
1914 verlobte er sich mit seiner Jugendliebe Edith Bratt; sie heirateten im März 1916.
Im Juni 1916 wurde er in Frankreich eingesetzt und nahm als Fernmeldeoffizier an der Schlacht an der Somme teil. Dabei erkrankte er an Grabenfieber und wurde zum Zwecke der Genesung nach England zurückgeschickt. Während eines Genesungsurlaubs in Great Haywood begann er, neben Gedichten auch mythologische Geschichten zu schreiben, die „Books of Lost Tales“, die die Grundlage für seine spätere Mythologie bilden sollten. Die Arbeit an diesen und anderen Geschichten sollte einen Großteil seiner Arbeitszeit in Anspruch nehmen. 1917 wurde sein erster Sohn John geboren.
Nach Kriegsende kehrte Tolkien mit seiner Familie nach Oxford zurück und arbeitete am New Englisch Dictionary. 1920 wurde er Dozent an der Universität in Leeds. Im gleichen Jahr wurde sein zweiter Sohn Michael geboren. Die Universität Leeds richtete 1924 eigens für Tolkien eine Professur für englische Sprache ein, doch schon ein Jahr später wurde er zum Rawlinson- und Bosworth-Professor für Angelsächsisch in Oxford gewählt. Sein Sohn Christopher wurde 1924, seine Tochter Priscilla 1929 geboren. Während dieser Zeit arbeitete er immer wieder an den Geschichten des späteren Silmarillion. Um 1930 begann er, eher ungeplant, mit dem Hobbit.
In den 1930er und 1940er Jahren war Tolkien wie C.S. Lewis und Charles Williams Mitglied der „Inklings“, eines Kreises von Denkern und Autoren aus Oxford. The Hobbit wurde 1936 fertiggestellt, vom Verlag Allen & Unwin zur Veröffentlichung angenommen und erschien 1937. Nach dessen Erfolg schrieb Tolkien an einer Fortsetzung, aus der The Lord of the Rings wurde. 1945 wurde er zum Merton-Professor für englische Sprache und Literatur in Oxford berufen.
1949 war The Lord of the Rings abgeschlossen. Aufgrund längerer Verlagsverhandlungen erschienen die ersten beiden Bände erst 1954, der dritte 1955.
Dieses Werk verkaufte sich sehr gut, zum Kultautor unter Studenten wurde Tolkien aber erst in den 1960er Jahren durch eine nicht autorisierte Taschenbuchausgabe in den USA. Nach öffentlichem Protest zog der Verlag diese Ausgabe zurück und beteiligte Tolkien am Gewinn.
Nach seiner Pensionierung 1959 arbeitete Tolkien weiter an seiner Mythologie, die er bis zu seinem Tod nicht abschließen sollte, und zog 1968 mit seiner Frau in die Nähe von Bournemouth, kehrte aber nach Ediths Tod 1971 nach Oxford zurück. Während eines Besuchs bei Freunden in Bournemouth starb Tolkien 1973.
Tolkien erhielt verschiedene Ehrungen, u.a. im Jahr 1954 Ehrendoktorate der Universitäten Dublin und Lüttich, 1972 eines der Universität Oxford sowie im selben Jahr den C.B.E.
Sein Werk und sein Wirken
Tolkien ist primär als Schriftsteller, vor allem durch The Hobbit und The Lord of the Rings bekannt, doch darf seine Bedeutung als Sprach- und Literaturwissenschaftler nicht unterschätzt werden. Aufgrund seiner hohen wissenschaftlichen Kompetenz früh Professor geworden, machte er sich mit E.V. Gordon als Übersetzer und Herausgeber von Sir Gawain and the Green Knight einen Namen; diese Übersetzung ist in einer bearbeiteten Neuauflage noch heute gebräuchlich.
Ebenfalls ein Standardwerk war das 1922 veröffentlichte Middle English Vocabulary. Auch die späteren Editionen des Ancrene Wisse sowie posthum des Old English Exodus sowie seine verschiedenen Artikel zur englischen Philologie und Literaturwissenschaft zeigen seine akademische Bedeutung, auch wenn sie aufgrund seiner schriftstellerischen Tätigkeit nicht sehr zahlreich sind. Zur Neuübersetzung der Jerusalem Bible sollte er usrprünglich einen großen Anteil beitragen, konnte aber wegen großer Arbeitsbelastung nur das Buch Jona übersetzen.
Sein 1936 über das altenglische Epos Beowulf gehaltener Vortrag Beowulf: The Monsters and the Critics gilt als Meilenstein der Forschung über dieses Werk und wird oft als die einflussreichste Arbeit über den Beowulf angesehen. Darin plädiert Tolkien für eine Untersuchung dieses Epos als Literatur und nicht als historische Quelle, wie der Forschungstrend zu dieser Zeit war, und konnte damit einen Paradigmenwechsel der Beowulf-Forschung initiieren.
Weite Beachtung fand auch sein Essay On Fairy-stories (1938), der heute noch in seiner Bedeutung für die Märchentheorie gewürdigt wird, obwohl oder gerade weil Tolkien sich darin weitgehend unberührt von der zeitgenössischen Märchentheorie zeigt. Für das Verständnis seiner eigenen narrativen Werke ist dieser Essay höchst aufschlussreich. Darin beschäftigt sich Tolkien mit dem Wesen fantastischer Geschichten und entfaltet sein Konzept der ‚sub-creation’ (Zweitschöpfung) des Künstlers in Analogie zur (Erst-)Schöpfung Gottes. In diesem Essay prägt Tolkien auch den Begriff ‚Eukatastrophe’ zur Kennzeichnung einer (oft unerwarteten) guten Wendung. Als Inbegriff einer Eukatastrophe sieht Tolkien die Geburt Christi an.
Seine große schriftstellerische Bekanntheit – seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft – erlangte er vor allem mit den beiden in der Fantasiewelt Mittelerde spielenden Werken The Hobbit und The Lord of the Rings, die nicht exakt einem literarischen Genre zugeordnet werden können. Sie gehören prinzipiell zur Fantasyliteratur, unterscheiden sich indes von der bis dahin bekannten deutlich und bilden damit einen Neuansatz. Dadurch und wegen starker Anlehnungen späterer Autoren an seine Werke gilt Tolkien oft als Begründer und Wegbereiter der modernen Fantasy. Die Fantasiewelt Mittelerde wurde von Tolkien mit einer umfangreichen Mythologie und mehreren ausgearbeiteten Sprachen ausgestattet.
Die Entwürfe dazu und zahlreiche damit zusammenhängende Texte sowie die Entstehungsgeschichte von The Lord of the Rings hat sein Sohn Christopher im Laufe der Jahre mit The Silmarillion, Unfinished Tales sowie der zwölfbändigen History of Middle-earth herausgegeben. Neben diesen Werken schrieb Tolkien auch einige kürzere Geschichten und Erzählungen, darunter auch Kinderbücher, teilweise mit autobiografischem Akzent.
Den Nährboden für Tolkiens Geschichten bildet seine berufliche Beschäftigung mit mittelalterlicher Sprache und Literatur und sein Vergnügen am Spiel mit der Sprache. So orientieren sich manche Gedichte oder Werke an mittelalterlichen Vorlagen, bei zahlreichen Themen oder Motiven stammt die Inspiration aus mittelalterlichen Quellen. Andere Werke entstanden aus der Frage, wer eine von ihm erfundene Sprache gesprochen haben könnte. Auch Tolkiens religiöser Hintergrund zeigt sich an vielen Stellen, obgleich Tolkien nie so explizit christlich in seinen narrativen Werken war wie z.B. sein Freund C.S. Lewis in den Chronicles of Narnia. Dennoch werden auch seine theologischen Ansichten deutlich, die neuscholastisch geprägt sind, aber oft darüber hinaus weisen.