John Ronald Reuel Tolkien - Adaptionen- Pen & Paper Rollenspiele

Was ist ein Pen & Paper – Rollenspiel?

Pen & Paper-Rollenspiele (P&P) lassen sich, vereinfacht ausgedrückt, mit Theaterspielen oder szenischen Lesungen vergleichen, in denen die Mitspielenden die Rolle einer fiktiven Figur übernehmen und deren Handlung bestimmen. Die wichtigsten Unterschiede dazu sind aber:

Es gibt keine fertigen Skripte oder Drehbücher, die auswendig gelernt müssten.
Das Spiel findet im Regelfall in gemütlicher Atmosphäre statt, während alle an einem Tisch sitzen.
Eine(r) übernimmt die Rolle der Spielleitung (die verschiedenen Systeme nennen diese Funktion unterschiedlich), welche in gewisser Weise die Regie des Ganzen übernimmt. Sie überlegt (oder kauft) sich einen Handlungsrahmen (gegliedert in aufeinanderfolgende Abenteuer) und übernimmt auch die Rolle aller Figuren und Kreaturen, mit denen die Spielenden im Laufe des Spiels zusammentreffen. Damit wird somit zwar der Rahmen zur Verfügung gestellt, doch der konkrete Verlauf der Ereignisse wird durch die Aktionen der Spielenden bestimmt. Ein Charakteristikum von RPGs ist es, dass ein Spiel kein definiertes Ende hat, welches es zu erreichen gilt. Im Grunde kann es auf unbegrenzte Zeit fortgesetzt werden, solange alle Beteiligten Spaß und Interesse daran haben.

Das erste Rollenspiel Dungeons & Dragons (D&D) wurde 1974 veröffentlicht und hatte in der ersten Auflage  deutliche Anklänge an Mittelerde (Hobbits, Ents und so weiter). Aber diese mussten bald aus rechtlichen Gründen ersetzt werden (etwa durch Halblinge und Treants). Für mehr Information zu RPGs allgemein ist der entsprechende Wikipedia-Artikel sehr informativ.

Mittelerde im Rollenspiel

Trotz der Bedeutung als definierende Fantasywelt zeigte erst Anfang der 1980er ein Verlag Interesse an Mittelerde als Schauplatz eines Rollenspiels. Eine Besonderheit ist, dass alle offiziellen Spielsysteme ausschließlich auf den Hobbit und Herrn der Ringe als Quellenmaterial beschränkt sind. Tolkiens weitere Werke wie das Silmarillion oder Nachrichten aus Mittelerde sind in der Lizenz nicht enthalten. Diese Situation resultiert daraus, dass Tolkien noch zu Lebzeiten die Rechte für auf den Hobbit und den Herr der Ringe basierende Filme und Spiele 1968 an United Artists verkauft hatte. Später wurde ein großer Teil dieser Rechte an Saul Zaentz weiterverkauft, welcher zur Verwertung dieser Rechte eine Firma (Tolkien Enterprises, später umbenannt in Middle-earth Enterprises; Abkürzung TE bzw. MEE) gründete. Sämtliche Rechte an den übrigen Büchern und Adaptionen verblieben bei Tolkien und werden seit seinem Tod durch den Tolkien Estate verwaltet. Diese recht verwickelte Situation hat erheblichen Einfluss auf die offiziell lizensierten RPGs für Mittelerde.
 

Spielsysteme in Mittelerde: MERP/MERS

Dieses erste Rollenspiel für Mittelerde wurde von 1981 bis 1999 von Iron Crown Enterprises (ICE) produziert. Das Akronym MERP steht für Middle-earth Roleplaying. Die deutsche Übersetzung MERS (Mittelerde Rollenspiel) wurde zuerst vom Citadel-Verlag (später Laurin) ab 1987 publiziert. Nach dessen Konkurs übernahm 1993 Queen Games die MERS-Lizenz. 1999 ging ICE Konkurs und die Lizenz fiel an Tolkien Enterprises zurück. Es wird vermutet, dass TE diesen Konkurs absichtlich herbeiführte, um die Lizenz wieder einziehen und diese in Erwartung deutlich höherer Gewinne im Zuge der Filmveröffentlichungen neu vergeben zu können.
MERP/MERS war weitgehend ein CET-Spiel („Charakterklassen, Erfahrungsstufen und Trefferpunkte“), wenn auch der ‚T‘-Aspekt deutlich weniger stark betont war. Das Spielsystem war durch ein sehr gefährliches Kampfsystem gekennzeichnet, welches – im Gegensatz zu Klassikern wie D&D – das Kämpfen stets riskant machte und die Suche nach alternativen Lösungsmöglichkeiten förderte. Allerdings war das von Rolemaster abgeleitete System auch recht generisch und ließ keine spezifische „Mittelerde-Atmosphäre“ aufkommen.
Die größte Stärke von MERP/MERS war die große Anzahl von Zubehörbänden, welche die Welt (hauptsächlich den von Tolkiens Karte bekannten Nordwesten) sehr detailliert bezüglich Politik, Bewohnern, Orten, Flora & Fauna u.v.m. beschrieben. Eine Besonderheit war auch der gewählte zeitliche Fokus: Die meisten Bände spielten in der Mitte des Dritten Zeitalters, im Jahr 1640 – weit vor der Zeit von Bilbo und Frodo. Trotz der offiziellen Lizenzsituation haben sich viele Autoren von MERP-Bänden ganz offen auf nicht lizensiertes Material bezogen, was – wahrscheinlich aufgrund der relativ geringen involvierten Summen – toleriert wurde.
 

Lord of the Rings Roleplaying Game / Herr der Ringe Rollenspiel

Dieses zweite offizielle RPG wurde von 2002 bis 2007 von Decipher publiziert. Die deutsche Übersetzung kam bei Pegasus Spiele heraus. Im Gegensatz zu MERP wurde die Lizenz jetzt sehr eng ausgelegt, wahrscheinlich aufgrund der Spannungen zwischen MEE und dem Tolkien Estate, welcher inzwischen sehr genau auf die Einhaltung der Lizenzbedingungen achtete.
Im Gegensatz zu MERP wurden bei diesem System die literarischen Vorlagen sehr genau gelesen und analysiert, so dass man in den Regelmechanismen (besonders den Zaubern) die Buchstellen erkennen konnte, auf denen sie basierten. Der gewählte Zeitrahmen entsprach der Buchvorlage und lag in den Jahren vor dem Ringkrieg.
Der Aufbau des Regelbuches (nach dem CODA-System) war leider sehr schlecht, was der Les- und Nutzbarkeit sehr abträglich war. Diese Probleme waren zu einem großen Teil redaktioneller Natur (Veruntreuung durch einen Manager), die Ressourcen verbrauchten. Die Publikationen lieferten relativ wenig spielbares Material (nicht ein einziges Abenteuer), was die Probleme weiter verstärkte. Hinzu kam, dass der Verlag keinerlei Erfahrung mit RPGs insgesamt hatte. All dies führte dazu, dass die Lizenz bereits nach fünf Jahren nicht verlängert wurde. Eine weitere Schwäche war sicher auch die Entscheidung die Bücher fast ausschließlich mit Bildern aus der Herr der Ringe-Filmtrilogie zu bebildern (u.a. auf dem Einband). Obwohl stets auf die Unterschiede zwischen Filmen und Büchern hingewiesen wurde, wurden die Publikationen von Decipher sicher das ein oder andere Mal als Film-Merchandise wahrgenommen.
 

The One Ring (TOR)/ Der Eine Ring (DER)

Dieses seit 2011 von Cubicle 7 (deutsche Version beim Uhrwerk-Verlag) produzierte Spiel wählt einen anderen Ansatz als seine beiden Vorgänger, obwohl der zeitliche Rahmen dem der Decipher-Spiel ähnelt (Mitte des 30. Jahrhunderts DZ). Ähnlich wie bei seinem direkten Vorgänger wird auch hier die Lizenz sehr eng ausgelegt. Darüber hinaus ist das Spiel sehr viel stärker auf das Erzählen von Geschichten ausgerichtet. Die Regeln sind so entworfen, dass man sich vorstellen kann, dass die Ereignisse des Hobbit und Herrn der Ringe hiermit reproduzierbar sind. Insgesamt schaffen sie es, eine sehr stimmungsvolle und dichte, der Buchvorlage ähnelnde Atmosphäre zu schaffen. Zentral hier sind Hoffnung und Schatten, welche eine zentrale Rolle in den Regeln einnehmen.
Zudem ist die Spielzeit in zwei Phasen unterteilt: Abenteuer- und Gefährtenphase. Diese Trennung führt zu einer deutlichen Wahrnehmbarkeit des Verstreichens der Spielzeit, aber auch zu der dichten Integration der Spielerfiguren in ihre jeweilige Kultur und das heimatliche soziale Umfeld. Die Regeln sind häufig recht abstrakt und weniger „realistisch“ – hier erkennt man deutlich die Herkunft des Autors aus der Welt der Brettspiele.
Angefangen hat das Spiel mit einer räumlichen Begrenzung auf das nördliche und westliche Rhovanion (Wilderland), inzwischen sind aber auch Erweiterungen für das östliche Eriador und Rohan/Dunland erschienen. Dieses systematische Vorgehen schafft innere Konsistenz, begrenzt aber auch die Palette an spielbaren Völkern und Kulturen.
Die Regeln sind insgesamt sehr gut durchdacht und stimmungsvoll, so dass das Lesen richtigen Spaß macht. Der Aspekt, welcher bei TOR/DER leider etwas schwach ausgeprägt ist, ist der „Weltenbau“, also jener Aspekt der bei MERP eher stark war. In gewisser Weise sind die Stärken und Schwächen und Schwächen von TOR und MERP genau gegensätzlich verteilt.
Eine zweite Version  wurde angekündigt, aber es ist unklar, ob sie jemals veröffentlicht wird.
 

Adventures in Middle-earth / Abenteuer in Mittelerde

Dieses ebenfalls bei Cubicle 7 (auf Deutsch bei Mario Truant) erschienene Rollenspiel ist eine D20-OGL-Version von TOR/DER. Das heißt die entsprechenden Bücher (die bisher noch nicht alle erschienen sind, wobei es auch noch unklar ist, ob sie noch alle erscheinen werden, da zwischenzeitlich die Einstellung des Spiels angekündigt wurde) entsprechen inhaltlich und optisch den Büchern von TOR/DER. Nur die Regeln werden durch die weitverbreiteten D20-OGL.-Regeln ersetzt.. Allerdings werden einige Spezifika, wie die Aufteilung in die beiden Phasen, die zur Mittelerde-Stimmung beitragen, beibehalten worden. Insofern gilt hier das schon bei TOR/DER gesagte.
 
CREDITS
Text: Thomas Morwinsky
 
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