Der inhaltlich einfachste Einstieg in die Mittelerde-Materie ist Der Hobbit, der allerdings vom Erzählstil her ein Kinderbuch ist (inhaltlich aber ein „All Ager“). Wenn Ihr also damit Probleme habt, überspringt ihn erst einmal – der Inhalt wird am Anfang des Herrn der Ringe noch einmal zusammengefasst.
Nach dem Erfolg des Hobbit wünschte der Verlag eine Fortsetzung des Kinderbuchs. Doch was er 16 Jahre später bekam, war kein Kinderbuch mehr und der Erfolg war zunächst mehr als zweifelhaft. Um das Risiko abzufedern, entschied sich der Verlag für eine Veröffentlichung in drei Teilen – deshalb wird Der Herr der Ringe oft als Trilogie wahrgenommen, obwohl Tolkien selbst das nicht so vorgesehen hatte. Anstelle des befürchteten Verlustgeschäfts wurde Der Herr der Ringe zu einem der erfolgreichsten Bücher der Welt. Nicht zuletzt durch die Filme von Peter Jackson ist es auch im neuen Jahrtausend in die oberen Ränge weltweiter Bestsellerlisten gerückt. In der BBC-Umfrage “The Big Read” wurde Der Herr der Ringe 2003 auf Platz Eins der Liste der 200 beliebtesten Romane aller Zeiten gewählt. In einer ZDF-Umfrage zu den Lieblingsbüchern der Deutschen im Jahr 2004 erreichte Der Herr der Ringe ebenfalls den ersten Rang.
Wer den Herrn der Ringe auf Deutsch liest, sollte noch beachten: Es gibt mehrere Übersetzungen. Die einen basieren auf der Übersetzung von Margaret Carroux (Gedichte von Ebba-Margareta von Freymann) 1968, die mehrfach überarbeitet wurde. Die anderen nehmen die Übersetzung von Wolfgang Krege (Gedichte auf der Basis Freymanns) als Vorlage. Auch diese Übersetzung wurde mehrfach überarbeitet. Generell lässt sich sagen, dass die Sprache in der Carroux-Übersetzung deutlich gehobener und teils schwerfälliger ist, während Kreges Übersetzung sich an der Umgangssprache der 1990er Jahre orientiert und damit moderner klingt, von vielen Lesern aber als unpassend empfunden wird und inzwischen auch schon wieder veraltet wirkt. Wer des Englischen (einigermaßen) mächtig ist, sollte nicht vor dem Original
zurückschrecken.
Das Silmarillion ist zwar eigentlich die Vorgeschichte von beiden, aber nicht der einfachste Einstieg in die Mittelerde-Materie. Der Erzählstil ist dichter und erinnert weniger an einen Roman als vielmehr an ein Heldenepos. Es ist deswegen schwerer zu verstehen und sorgt erst dann für schöne Wiedersehen und Aha-Effekte, wenn man den Herrn der Ringe schon gelesen hat. Das gilt auch für die drei “Auskopplungen” aus dem Silmarillion, die Christopher Tolkien in den Jahren 2007-2018 herausgegeben hat. Sie sind zwar so aufbereitet, dass
Die Nachrichten aus Mittelerde sowie die History of Middle-earth und History of the Hobbit sind ergänzende Texte und lohnen sich dann, wenn man mehr zu den Hintergründen und zur Entstehungsgeschichte wissen möchte.
Die folgende Liste der Mittelerde-Werke orientiert sich an der Reihenfolge der Erstveröffentlichung.
einfDer Hobbit
Tolkien erdachte dieses Buch ursprünglich für seine eigenen Kinder, schrieb es später auf und veröffentlichte es 1937. In Begleitung von 13 Zwergen (darunter der berühmte Thorin Eichenschild) soll der biedere Hobbit Bilbo Beutlin deren an den Drachen Smaug verlorenen Schatz zurückstehlen. So hat Zauberer Gandalf sich das jedenfalls vorgestellt. Bilbo ist zwar nicht der angepriesene „Meisterdieb“, aber er lernt, sich auf die Situation einzulassen, erlebt eine ganze Menge und kommt nebenbei in den Besitz eines Zauberrings, der später im Mittelpunkt einer anderen Geschichte steht…
Das große Hobbit-Buch
Mehr als nur Der Hobbit: Douglas A. Anderson ergänzt den Klassiker durch Texterklärungen, Illustrationen, inhaltlich verwandte Gedichte, Inspirationsquellen, Querverweise, Rezeptions- und Übersetzungsgeschichte. Wer meint, er wüsste alles über den Hobbit, wird hier eines Besseren belehrt. Der Augenöffner lohnt sich also auch für diejenigen, die schon mehrere Ausgaben des Kinderbuchs im Regal stehen haben.
Der Herr der Ringe
Wird häufig in drei Bänden als Trilogie angeboten, wurde von Tolkien aber eigentlich als Einteiler konzipiert. Diese Ausgabe enthält den Text in der aktualisierten Übersetzung von Margaret Carroux und wird durch die Illustrationen von Alan Lee zusätzlich aufgewertet.
Der Zauberring, den Hobbit Frodo Beutlin von seinem Onkel und Adoptivvater Bilbo geerbt hat, entpuppt sich als Meisterring des dunklen Herrschers Sauron. Mit Hilfe von Zauberer Gandalf und acht weiteren Gefährten macht sich Frodo auf die gefahrvolle Mission, den Ring zu zerstören und die freien Völker Mittelerdes vor der Sklaverei zu bewahren. Die abenteuerliche Geschichte hat seit ihrer Erstveröffentlichung unzählige Leser in ihren Bann gezogen und das Fantasy-Genre, wie wir es kennen, begründet.
Die Abenteuer des Tom Bombadil
Eine kleine Sammlung von Gedichten, deren fiktive Quelle dasselbe „Rote Buch der Westmark“ ist, aus dem laut Tolkien schon Der Hobbit und Der Herr der Ringe stammen und das die Gedichte somit zum Teil einer „Auenlandlyrik“ machen. Ein Teil der Gedichte findet sich daher auch schon in diesen Büchern, aber sie werden durch weitere ergänzt, unter anderem eben auch zwei über Tom Bombadil, die dem Buch den Titel gaben. Andere Gedichte verweisen auf das Silmarillion. Die Atmosphäre wechselt von fröhlich über unheimlich bis düster-melancholisch. Im Spiel mit der Form zeigt der Lyriker Tolkien seine ganze Experimentierfreude.
Das Silmarillion
Das Silmarillion wird gelegentlich als das „Alte Testament“ von Mittelerde bezeichnet. Dies liegt einerseits am Erzählstil, der episodenhaft und in altertümlicher Sprache die Geschichte vieler unterschiedlicher Figuren über mehrere Jahrhunderte hinweg schildert, und andererseits am mythischen Inhalt, der mit der Schöpfung des Universums beginnt. Im Mittelpunkt stehen die Elben (die auf einmal gar nicht mehr so weltfremd und abgeklärt wie im Herrn der Ringe erscheinen) sowie die Menschen, Zwerge und Orks, mit denen sie zu tun haben. Seinen Namen erhält das Buch von den Silmarilli, drei großen, strahlenden Juwelen, die der Elb Feanor erschaffen hat, bevor sie vom dunklen Herrscher Morgoth begehrt und gestohlen werden. Die Versuche der Elben, die Silmarilli wieder zu erlangen, bestimmen die Geschichte des Buchs – und des Ersten Zeitalters von Mittelerde. Angefügt sind außerdem der Schöpfungsmythos “Ainulindale”, die “Valaquenta” (Namen und Verantwortungsbereiche der götterähnlichen Valar), die “Akallabêth” (Tolkiens Version des Atlantis-Mythos) sowie die Geschichte der Ringe der Macht aus elbischer Sicht.
Nachrichten aus Mittelerde
Der Originaltitel Unfinished Tales beschreibt es treffender: In diesem Buch hat Christopher Tolkien mehrere unvollendete (aber schon recht weit ausgearbeitete) Textfragmente zusammengefasst und kommentiert. Damit ist der Band ein Mittelding zwischen Lesetext und historisch-kritischer Ausgabe und zugleich ein Auftakt zur umfangreichen Publikationsreihe der History of Middle-earth, die mit dem gleichen Ziel erschien. Die Nachrichten aus Mittelerde vermitteln einen guten ersten Eindruck davon, dass die fertig publizierten Bücher Tolkiens nur die Spitze eines Eisbergs aus zehntausenden Manuskriptseiten sind und dass Mythologie, Sprachen und Welt bis zuletzt immer weiter wuchsen und sich entwickelten. Wer mehr über Númenor, Galadriels Vorgeschichte, die Allianz zwischen Gondor und Rohan oder die Istari wissen möchte, wird hier fündig. Der ebenfalls in diesem Buch enthaltene Entwurf der Geschichte der Kinder Húrins wurde 2007 in einer erweiterten und aufgearbeiteten Version als eigenständiger Roman veröffentlicht.
The Complete History of Middle-earth
In den zwölf Bänden der History of Middle-earth (HoME) hat Christopher Tolkien einen Großteil der Entwürfe, Notizen, Zeitleisten und Hintergrundgedanken seines Vaters zum Silmarillion (Band 1-5 sowie 10-12) und zum Herrn der Ringe (Band 6-9) aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht. Kommentar und Datierung(sversuche) machen es möglich, die Entstehungsgeschichte des Legendariums nachzuvollziehen. Wer sich für frühe und alternative Versionen interessiert oder mehr Informationen zu Figuren, Völkern, Geschichte und Motiven sucht, kommt an der HoME nicht vorbei. Es handelt sich allerdings nicht um durchgängige Erzählungen, sondern um Textfragmente, die erst im Kontext der vollendeten Werke ihren Sinn ergeben. Insgesamt also keine Lektüre zum gemütlichen Schmökern, sondern eher eine Fundgrube für Forscher und Schatzsucher. Faszinierend ist jedoch, wie sich das aus den bekannteren Werken vertraute Bild langsam entwickelt, wie überraschend anders manche Geschichten in den ersten Entwürfen verliefen und wie verschwenderisch Tolkien immer neue Details und Figuren einarbeitete… oder, wie er es verstand, “herausfand”.
Geheimtipp: der lange Versroman über Beren und Lúthien Tinúviel in Band 3 sowie die frühen Entwürfe zu Númenor und Elendil (damals noch als Zeitreisender aus den 1930er Jahren) in Band 5. Wer alles über die Hochzeitsbräuche der Elben wissen möchte, sollte sich “Laws and Customs among the Eldar” in Band 10 zu Gemüte führen. Spannend (und ebenfalls in Band 10 abgedruckt) sind auch Tolkiens Versuche, seine ursprüngliche Mythologie an unser wissenschaftliches Weltbild anzugleichen, und Feanors sprachwissenschaftliche Bestrebungen werden in “The Shibboleth of Feanor” in Band 12 thematisiert.
Die HoME ist auch in Einzelbänden erhältlich. Die einzelnen Bände sind:
- The Book of Lost Tales I-II (1983-84), dt. Das Buch der Verschollenen Geschichten 1-2 (1999)
- The Lays of Beleriand (1985)
- The Shaping of Middle-earth (1986)
- The Lost Road (1987)
- The Return of the Shadow (1988)
- The Treason of Isengard (1989)
- The War of the Ring (1990)
- Sauron Defeated (1992)
- Morgoth’s Ring (1993)
- The War of the Jewels (1994)
- The Peoples of Middle-earth (1996)
- Index (2002; fasst die Register der Einzelbände zusammen)
Das Buch der verschollenen Geschichten, Teil 1 + 2
Der Auftakt zur Serie “The History of Middle-earth” – und die einzigen beiden Bücher aus dieser Serie, die ins Deutsche übersetzt wurden. Zusammengetragen und kommentiert sind hier die ältesten Fassungen der Geschichten, die sich später zum Silmarillion entwickelten. Die episodischen, sprachlich an den historisierenden Stil von z.B. William Morris oder Alfred Tennyson erinnernden Geschichten sind eingebettet in die Rahmenhandlung vom mittelalterlichen Seefahrer Ælfwine (“Elbenfreund”), der versehentlich auf Tol Eressea landet und dort die “verschollenen” Legenden der Elben hört. Obwohl bereits bekannte Namen wie Feanor, Tinúviel und Turambar auftauchen, unterscheiden sich die Geschichten noch massiv von der endgültigen Fassung, in der sie im Silmarillion veröffentlicht wurden. Entsprechend faszinierend ist es, die frühen Ursprünge des Legendariums zu lesen. “Der Fall von Gondolin” wurde 2018 in einer ausführlicheren und um weitere Textentwürfe ergänzten Fassung als eigenständiges Buch veröffentlicht.
Bilbos Abschiedslied
Dieses Gedicht, das Bilbos Gedanken bei der Abreise auf dem letzten Schiff aus Mittelerde wiedergibt, und alle Rechte daran schenkte Tolkien seiner langjährigen Sekretärin Joy Hill. Es wurde dann in einer reichhaltig illustrierten Ausgabe herausgebracht. Ein schönes Geschenkbuch für Leute, die nicht nur Tolkien, sondern auch seine Gedichte mögen.
Die Kinder Hurins
Mit dieser Ausgabe liegt die Geschichte der Kinder Húrins erstmals als eigenständiges und geschlossenes Buch vor, genauso wie es J.R.R. Tolkien vor Augen stand. Christopher Tolkien stellte aus den verschiedenen Prosaentwürfen einen kontinuierlichen Text zusammen, geht aber auch auf die in Stabreimen geschriebenen Narn i Hîn Hurin (siehe The History of Middle-earth 3: The Lays of Beleriand) ein.
Protagonist der Geschichte ist Túrin, Húrins Sohn, der vom bösen Morgoth verflucht wurde und sich mit seinen Versuchen, sein Schicksal selbst zu bestimmen, nur immer tiefer in seinen Fluch verstrickt. Als Inspiration diente die Erzählung von Kullervo aus dem finnischen Epos Kalevala.
The History of The Hobbit
Beren und Lúthien
Die Geschichte von Beren und Lúthien steht im Mittelpunkt des Silmarillions und nahm in Tolkiens Herz einen besonderen Platz ein – schließlich verabeitete er darin seine eigene Liebesgeschichte. Die Namen Berens und Lúthiens sind auch auf dem Grabstein Tolkiens und seiner Frau Edith verewigt.
Im Ersten Zeitalter sind Happy Ends rar gesät. Beren und Lúthien haben Glück gehabt: die erste Vermählung zwischen Mensch und Elbin und ihre Beschaffung eines Silmarils geht trotz allen Hindernissen glücklich aus. In dieser “Auskopplung” aus der History of Middle-earth wird eine größtenteils durchlaufende Erzählung geboten, die Christopher Tolkien aus den verschiedenen Entwürfen mosaikartig zur „Lesefassung“ kombiniert hat. Ziel dabei ist, die großen Unterschiede in Erzählton und -verfahren zwischen den Jahrzehnte auseinanderliegenden Versionen deutlich werden zu lassen.
Der Fall von Gondolin
Das letzte Buch, das Christopher Tolkiens als Verwalter des Werks seines Vaters selbst veröffentlicht hat. Die Geschichte vom Elbenkönig Turgon, der die Warnung vor dem drohenden Untergang seiner Stadt ignoriert, gehört zu den frühesten Ideen, die Tolkien entwickelte. Entsprechend oft hat er die Geschichte überarbeitet, Figuren umgestaltet, neue Elemente eingebaut oder alte gestrichen. Aus den unterschiedlichen Fassungen hat Christopher Tolkien keinen einheitlichen Roman gestrickt, sondern die verschiedenen Versionen aufbereitet und in einen Sinnzusammenhang gestellt. So lässt sich nachvollziehen, wie sich die Geschichte um Gondolin, Tuor und Idril sowie ihren Sohn, den Seefahrer Earendil, im Laufe der Zeit entwickelt hat.