“Beren und Lúthien” – der Versuch einer Rezension

Beren und Lúthien - Titelbild
Die schönste Liebesgeschichte beginnt mit dem traurigsten Vorwort. Die Geschichte von Beren und Lúthien, die J.R.R. Tolkien vor ziemlich genau 100 Jahren aufschrieb, wurde nun erstmals als Einzelband von seinem Sohn Christopher herausgegeben – versehen mit dem berührendsten Prolog, den wir je gelesen haben. „Im Alter von dreiundneunzig Jahren“, so schreibt Christopher, „ist dies (vermutlich) mein letztes Buch in der langen Reihe von Editionen der Schriften meines Vaters, meist zuvor unveröffentlicht, und als solches von etwas ungewöhnlicher Art“ (Beren und Lúthien, S. 19).

Die Bedeutung dieser Geschichte

Beren und Lúthien hat eine besondere Bedeutung in Tolkiens Werk. Es ist nicht nur ein wesentlicher Bestandteil seiner Mythologie und eine der grundlegenden Erzählungen im Silmarillion. Sie ist womöglich auch Tolkiens persönlichste Geschichte, fußt sie doch auf seiner ganz eigenen Liebesgeschichte. “Sie war meine Lúthien (und wusste es)”, schreibt Tolkien über seine Frau Edith nach deren Tod (Briefe, S. 547). Auf den Grabstein lässt er unter ihren bürgerlichen Namen “Lúthien” und unter seinen eigenen den Namen “Beren” eingravieren.

Diese Geschichte ist also weitaus mehr als nur das. Sie ist eine Liebeserklärung, die ihresgleichen sucht. Der sterbliche Beren verliebt sich in die unsterbliche Lúthien Tinúviel, deren Vater Anstoß daran nimmt, dass ein Mensch um die Hand seiner Tochter anhält. Er verhöhnt Beren und stellt ihm als Brautpreis die unmögliche Aufgabe, einen Silmaril aus Morgoths Krone zu rauben, in dem Glauben, ihn in den sicheren Tod zu schicken. Doch Beren schafft es tatsächlich, mit Lúthiens Hilfe. Die beiden erleben ein haarsträubendes Abenteuer, das sie gemeinsam bestehen, wenn auch Beren seine Hand (und den Silmaril) dafür einbüßen muss. Sie kämpfen für ihre Liebe und gegen das Böse – allen Widrigkeiten zum Trotz.

Zeichnung Alan Lee - Tolkien Büste

Tolkiens eigene Liebesgeschichte

1916 heirateten Ronald und Edith – augenscheinlich ebenfalls allen Widrigkeiten zum Trotz. Ihre Liebe wurde ihnen anfangs untersagt, wohl wegen ihres jugendlichen Alters, vielleicht aber auch aufgrund ihrer unterschiedlichen Konfessionen. Erst als Tolkien 1913 volljährig wurde, konnte er wieder Kontakt zu Edith aufnehmen. Beide waren Waisen, Tolkien zudem  mitten in seinem Studium und nicht besonders wohlhabend. Als dann 1914 auch noch der Erste Weltkrieg ausbrach, schienen die Widrigkeiten unermesslich. Als die beiden im März 1916 schließlich heiraten konnten (Edith war zum Katholizismus konvertiert), stand Tolkiens Kriegseinsatz kurz bevor und keiner wusste, ob er seinen Einsatz an der Somme überleben würde – ein haarsträubendes Abenteuer.

Beren und Lúthien - Skitze Alan Lee

Durch eine Erkrankung an Grabenfieber wurde Tolkien Ende 1916 zurück nach England gebracht, wo er die nächsten zwei Jahre überwiegend im Krankenbett verbrachte. Dort schrieb er endlich die Bruchstücke und ersten Erzählungen seiner schon lange und stetig wachsenden Mythologie auf. Auf das Heft, in dem er seine Geschichten festhielt, schrieb er Das Buch der Verschollenen Geschichten. Diese wurden später als die ersten beiden Bände der zwölfteiligen History of Middle-earth von Christopher herausgegeben. Sie sind auch die Grundlage des Silmarillion.

Bei einem Waldspaziergang in Yorkshire im Frühjahr 1917 sang und tanzte Edith für ihren Mann inmitten eines Blumenmeeres aus Schierlingen. Das verzauberte Tolkien dermaßen, dass daraus Die Geschichte von Tinúviel wurde, die erste Version der Sage von Beren und Lúthien. Diese allererste Fassung ist leider nicht mehr bzw. nur noch sehr bruchstückhaft erhalten. Tolkien hatte sie mit Bleistift geschrieben und später ausradiert, um eine aktuellere Version darüberzuschreiben. Dieses bearbeitete Stück stellt somit die früheste Erzählung von Beren und Lúthien dar und findet sich in der Neuveröffentlichung.

Die Neuveröffentlichung

Neben Vorwort und erläuternden Anmerkungen zu den Ältesten Tagen umfasst die Neuveröffentlichung die einzelnen Bearbeitungsschritte der Geschichte, in sinnvoller Reihenfolge und einem leicht verständlichem Zusammenhang. Zudem hat Christopher hier auch Passagen aus anderen Manuskripten hinzugezogen, die mit den Geschehnissen in Beren und Lúthien verknüpft sind. Auch Teile der Quenta Noldorinwa, die einzige vollständige und vollendete Fassung des Silmarillion, die Tolkien je erstellt hat, sind enthalten. Ebenso das umfangreiche Leithian-Lied, eine Versform der Erzählung, aus der Aragorn im Herrn der Ringe im Lager unter der Wetterspitze einen Auszug singt.

Das Silmarillion - Beren und Lúthien

Zudem ist das Buch wunderschön illustriert von Alan Lee. Neun Farbillustrationen und 25 Schwarzweiß-Zeichnungen erwecken das Abenteuer von Beren und Lúthien zum Leben und beweisen einmal mehr, um welch begnadeten Künstler es sich bei Alan Lee handelt. Der Anhang des Buches enthält weitere überarbeitete Stellen des Leithian-Liedes, ein Namensverzeichnis und ein Glossar, das die alten und ungebräuchlichen Wörter innerhalb des Gedichtes erläutert. Wie im englischen Original wurde auch in der deutschen Übersetzung zu älteren Formen gegriffen, was die Übersetzung insgesamt sehr authentisch macht.

Diese Neuveröffentlichung einer sehr alten Geschichte ist in jedem Fall etwas ganz Besonderes, steckt in ihr doch so viel Liebe und so viel Hingabe zu einem unvergleichlichen Werk. Sowohl seitens Christopher, der die Erzählung in memoriam ausgewählt hat, als natürlich auch seitens Tolkien selbst, für den seine eigene Lúthien, Edith, den Kern dieser Sage darstellt: “Sie war die Quelle der Geschichte, aus der dann mit der Zeit das wichtigste Stück des Silmarillion wurde” (Briefe, S. 547).

Eckdaten zum Buch

Preis: 22€
Format: Hardcover
Seiten: 304
Herausgeber / Autor: J.R.R. Tolkien, Hrsg. Christopher Tolkien
Verlag: Klett-Cotta
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3608961652
Übersetzung: Hans-Ulrich Möhring & Helmut W. Pesch

Zitierte Werke:

J.R.R. Tolkien: Beren und Lúthien, hg. v. Christopher Tolkien, Stuttgart: Klett-Cotta, 2017.

Carpenter, Humphrey (Hg.): J.R.R. Tolkien. Briefe, Stuttgart: Klett-Cotta, 2002. (Brief Nr. 340)

Credits

Titelfoto und Fotos im Artikel: Tobias M. Eckrich

Cover: Klett-Cotta

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