Ringe der Macht – ein Kommentar

AMAZON STUDIOS Rings of Power

Die erste Staffel der Amazon Serie: Die Ringe der Macht ist vorbei. Unser Mitglied Sebastian Richartz hat sich hingesetzt und seine Gedanken zur ersten Staffel für Euch zusammen gefasst.

Wenn man bedenkt, dass für die Serie Die Ringe der Macht nur Der Herr der Ringe und Der Hobbit als Grundlage zur Verfügung standen und die ganze Handlung im Zweiten Zeitalter spielt, da bleibt nicht viel außer etwas in den ersten Kapiteln zu den Hobbits, ein paar Lieder und Blicke in die Vergangenheit. Der große Fundus sind da die Anhänge, die viele, die nur die drei Bände im Softcover gelesen haben, gar nicht besitzen. In den gebundenen Büchern ganz hinten platziert, sind sie beim Paperback ein eigenes Buch und fehlen bei den drei Bänden im Schuber ganz (Spartipp: Das gebundene Buch ist inkl. Anhänge nur 1 Euro teurer als die Paperback-Version mit 4 Büchern).

In den Anhängen steht in Kurzfassung auf knapp 80 Seiten alles über Númenor, die Rohirrim, die Gründung der Reiche der Menschen, über Hobbits, Elben und Zwerge, den einen oder anderen Maia und über die Sprachen, ergänzt um Stammbäume und Zeittafeln, aber halt sehr kompakt: insgesamt ca. 7.000 Jahre aus dem Zweiten und Dritten Zeitalter im Kurzabriss. Daraus kann sich Amazon bedienen; und in Rücksprache mit den Erben Tolkiens dürfen sie auch manchmal etwas komplettieren, was anderswo geschrieben steht, an dem sie aber keine Rechte haben. Der Rest ist ausgeschmückt und erfunden.

Keine Fan- eher Professional-Fiction, die da entstanden ist, mit vielen, die daran mitgeschrieben haben, und auch das merkt man. Es wirkt nicht immer wie aus einer Feder. Die Stimmigkeit, die man von Tolkien gewohnt ist, geht dadurch verloren. Die Serie ist magischer als ihre Vorlage und weniger an Naturgesetze gebunden, die auch in Mittelerde gelten. Wer sich ein Bild davon machen will, wie wichtig Tolkien diese Stimmigkeit war, braucht nur die History of Middle-earth mit ihren zahlreichen Entwürfen und Änderungen zu studieren oder einen Blick in die Tabellen von Natur und Wesen in Mittelerde zu werfen. Mal trifft die Serie mehr, mal weniger den Geschmack der Tolkien-Leserschaft. Wie sehr sie den Geschmack der Nichtleser*innen trifft, wird der Erfolg zeigen.

Charles Edwards (Celebrimbor), Robert Aramayo (Elrond) (C) Amazon Studios

Schatten ...

Die Tolkien-Leserschaft muss natürlich damit leben, dass die zeitlichen Abläufe aus den Anhängen des Herrn der Ringe deutlich komprimiert werden, wie wir auch z.B. mit einem fehlenden Ghân-buri-Ghân, einem zaudernden Aragorn und einem Happy End à la Hollywood in den Herr-der-Ringe-Filmen leben mussten. Ich finde aber schon, dass der Aufbau auf die Schlüsselereignisse hinläuft. Durch die Zeitachsenstauchung werden viele Ereignisse in die Zeit der Regentschaft von Tar-Miriel und Ar-Pharazôn komprimiert. Für eine Serienumsetzung wäre alles andere auch sehr schwierig. Ich jedenfalls hätte für dieses Umsetzungsproblem bei einer Serie auch keine andere Lösung parat. Dennoch greift die Serie viele Ereignisse auf, macht Anspielungen ans Erste Zeitalter, lädt zum Nachschlagen und Recherchieren ein und wird hoffentlich viele Menschen dazu bringen, die Bücher wieder oder erstmals in die Hand zu nehmen. Die Detailverliebtheit insbesondere in den Kulissen ist atemberaubend: kleine Altäre in Númenor für Uinen, Osse oder Ulmo, Wandgemälde und Wandteppiche, adûnaïsche Inschriften auf den Mauern, die Earendil-Statue mit dem Silmaril auf der Stirn, Elwing als Vogel daneben und Earendil als Stern abends im Hintergrund, Elrond trägt seiner Mutter zu Ehren Flügel auf den Schultern, Statuen von Ulmo und Yavanna und vieles mehr. Khazad-dûm ist ein wahrer Augenöffner.

Es gibt aber auch grobe Schnitzer, da, wo Mythologie erschaffen wird, wo es nicht nötig ist, und Gegebenheiten stark verändert werden, obwohl man auch ohne ausgekommen wäre. Vorneweg der Mithril-Mythos „Lied der Wurzeln der Hithaeglir“, der mich tatsächlich am meisten entsetzt hat, zumal er keinen Mehrwert für die Handlung bietet und gleichzeitig den Wert der Silmarilli und deren Geschichte mindert. Wissen wir und auch die Elben doch genau, wo diese abgeblieben sind. Andere könnten hier noch viel besser als ich die Bedeutung dessen für Tolkien und die Verbindung zur Kalevala (ein Silmaril ins Meer geworfen, der zweite in den Abgrund und der dritte Stein blieb bei Earendil, Elronds Vater) herausarbeiten, aber das würde für diesen Artikel zu weit gehen.

Über Galadriels Start in die Serie (hier werden der Figur Eigenschaften anderer prominenter Elben aus dem Ersten Zeitalter angeheftet), die Isolation Númenors, zwei reinkarnierte Durins gleichzeitig kann ich noch hinwegsehen, aber manches ist dann doch schon stumpf und nicht gut geschrieben. Den Balrog zu platzieren, gut und schön. Aber muss er gleich durch ein herabschwebendes Blatt geweckt werden? Auch wirkt Elendil bisher noch sehr schwach. Wenn die Serie schon christliche Anspielungen bringt (Turmbau zu Babel, das „König oder Zimmerman“-Zitat von Miriel), so wäre auch Elendils nahezu noahische Rolle für Númenor doch zumindest eine Andeutung wert. Auch sein Verwandtschaftsgrad zur Königsfamilie, genau wie der Pharazôns, wird hoffentlich noch näher beleuchtet.

Sophia Nomvete (Princess Disa) (C) Amazon Studios

... und Licht

Dann wieder ist die Umsetzung genial. Gerade die 8. Folge wirft bei mir wieder viele Fragen auf: Was ist nun echt, was ist Lüge? Denn Sauron und damit auch die Autoren der Serie vermögen es sehr gut, Motivationen zu schaffen, die auch menschlich nachvollziehbar für die Nichtleserschaft sind. Dort, wo Tolkien sie nur sehr vage bis gar nicht formuliert. Hier finde ich viele Ergänzungen hervorragend. Ist die Sage um die Wurzeln des Hithaeglir auch nur eine seiner Intrigen? Ist Galadriels Erinnerung an ihren Bruder real und damit auch ihre Motivation? Warum führt all dies dazu, dass Sauron zu einem wichtigen Beteiligten und letztendlich zum Motivator des Ringe-Schmiedens wird?

Mich begeistert die Serie schon, und das trotz ihrer Abweichungen. Wenn man sich mit Film- und Serienumsetzungen anfreunden kann, ist sie für jeden was. Ich kann auch damit leben, dass nur manches gut umgesetzt ist und manches frei. Insgesamt muss mich das Ganze packen. Eben dies haben die Hobbit-Filme nicht geschafft und trotzdem finde ich auch dort Gutes, allerdings meist nur in der Landschaftsumsetzung und den Kulissen.

Markella Kavenagh (Elanor ‘Nori’ Brandyfoot) (C) Amazon Studios

Die Quellen im Blick

Da ist in meinen Augen die Serie schon jetzt deutlich besser als die Hobbit-Filme. Ich kann beides gut parallel haben. Ich mag es auch, die Unterschiede zu erkennen und das zu sortieren (was im Hobbit-Film sehr einfach war, da die Buchvorlage dünn war, das ist zwar hier auch so, aber auf den wenigen Seiten ist der Inhalt enorm). Beim Herrn der Ringe hatte ich gerade mal zwei Jahre vor Erscheinen die Bücher erstmals gelesen (mit 12); und mir fiel danach auf, dass ich manchmal nicht mehr ganz auseinanderhalten konnte, was nun Buch- und was Filmhandlung war. Das musste ich dann nach den Filmen erst wieder für mich sortieren. Wir haben damals auf dem Stammtisch gemeinsam Tolkien gelesen und uns durch die Bücher gearbeitet, Kapitel für Kapitel, Tolkiens Quellen herausgearbeitet, wo uns diese aufgefallen sind, und Sekundärliteratur parallel gelesen und auch immer den Vergleich zum Film angestellt. Das haben wir tatsächlich beim Hobbit-Film nicht gemacht. Da war schon bei der Diskussion nach dem gemeinsamen Kinobesuch eine Stunde nach dem Film alles gesagt. Das ist dort auch recht simpel, da der Hobbit so schön unkomplex ist. Das ist jetzt fast anders herum: Ich schaue die Serie und habe dabei Der Herr der Ringe, Das Silmarillion, Nachrichten aus Mittelerde, Das Buch der Verschollenen Geschichten 1+2, The History of Middle-earth Band 9-12, Tolkiens Briefe sowie Robert Forsters und Friedhelm Schneidewinds Lexikon auf dem Tisch liegen. Hinzu kommen Ardapedia und Tolkien Gateway auf dem Tablett (nimm das mal mit ins Kino).

Wenn ich etwas finde, was mich stutzig macht, notiere ich mir die Stelle und schaue es mir dann nochmal genau an, gehe durch die Register und lese nach. Manchmal finde ich Sachen schnell, da ich noch weiß, wo ich im Buch gucken muss oder mir die tollen Register weiterhelfen (wie toll, dass es die in jedem Buch von Tolkien gibt). Manchmal lockt mich auch erst mal Ardapedia auf eine falsche Fährte. Dann finde ich noch Anspielungen auf andere Geschichten im Hintergrund, an Statuen oder Wandbehängen.

Charlie Vickers (Halbrand) (C) Amazon Studios

Eine Chance geben? Eine Sache des Wollens

Auf dem Tolkien Stammtisch haben wir wieder Vorträge und Diskussionsrunden zur Serie und den Parallelen zu den Büchern. Dabei ist es wohl unstrittig, dass es an John Howes Umsetzung der jeweiligen Orte kaum etwas auszusetzen gibt. Wenn das alles nichts für Vollgeeks ist, dann weiß ich auch nicht. Die grundsätzliche Frage ist doch nur: Will man sich darauf einlassen oder nicht? Ich vertrete die Ansicht, wir sollten uns darauf einlassen und die Serie als Chance nehmen, wieder neu in die Bücher einzutauchen mit wunderbaren neuen Bildern dazu, ob wir sie nun alle für passend halten oder nicht. Alle im Schauspieler-Ensemble machen meiner Meinung nach einen guten Job und können nur mit dem arbeiten, was sie als Drehbuch vorgesetzt bekommen (und das ist leider manchmal auch mager).
Es gibt natürlich auch Aufreger. Der Silmaril im Baum oder der verschwundene Celeborn haben mich freitags beim Zuschauen fast wahnsinnig gemacht, am Sonntag danach sag ich mir schon: „Gut, das ist an dieser Stelle absolute Fanfiction und nach meinem derzeitigen Standpunkt leider noch nicht mal gut, aber wer weiß, was sie daraus machen. Und ich freue mich trotzdem wieder sehr auf den nächsten Freitag, um zu sehen, wie es weitergeht. Vielleicht ändert sich mein Standpunkt aber auch noch in den nächsten Staffeln. Damit ist für mich das Thema erst einmal abgeschlossen.
Nazanin Boniadi (Bronwyn), Ismael Cruz Córdova (Arondir) (C) Amazon Studios

Eine neue Generation Tolkien Fans

Wenn ich dann aber sehe, wie, seitdem die Trailer rauskamen, auf den immer gleichen Dingen herumgeritten wird, dann ermüdet mich das etwas und mittlerweile gehe ich auch nicht mehr darauf ein. Erst recht nicht, wenn Leute die Serie aufgrund oft sehr oberflächlicher Abweichungen kritisieren, die Serie nicht gesehen haben und dabei noch nicht einmal in der Lage sind, Tolkien mit e hinter dem i zu schreiben, nur so tun, als hätten sie was gelesen, oder die Filme Grundlage ihrer Kritik sind. Oft ist es auch immer wieder ein und derselbe Kommentar in 20 Gruppen und unter 100 Beiträgen.

In den Fan-Gruppen zur Serie, die gerade entstehen und wachsen, wo sich momentan auch viele neue Leute tummeln (und übrigens ein viel höflicherer Umgangston herrscht als in bereits lange bestehenden und großen Gruppen), kommen die ersten Fragen auf, was man zum Hintergrund der Serie lesen sollte. Es gibt also wieder Erstleser*innen, die durch die Serie zu den Büchern kommen. Wir alten Hasen haben dabei in der Hand, wie diese Leute Tolkien-Fans wahrnehmen (leider auch viel zu oft nicht positiv und zugewandt). Mir macht es Spaß, diese Menschen abzuholen und ihnen Tipps zu geben.
Mir ist es auch wichtig, dass ich als Tolkien-Fan nicht wie ein konservativer, engstirniger und ewig gestriger Muffel wahrgenommen werde. Das passt nicht zu meiner Wahrnehmung der Community aus den letzten 23 Jahren, in denen ich im Bereich der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V. unterwegs bin. Ich finde auch, dass wir gut daran tun, uns hier intensiv selbst zu reflektieren und wachsam zu sein, wer in unseren Gruppen und auf unseren Veranstaltungen Reden schwingt. Gleichzeitig sollten wir weiter Zeichen dafür setzen, dass jeder bei uns willkommen ist, es sei denn, er möchte andere ausgrenzen oder diskriminieren. In diesem Fall darf er oder sie das woanders tun, am besten für sich allein. Wir sind dafür keine Plattform.

Morfydd Clark (Galadriel), Tyroe Muhafidin (Theo) (C) Amazon Studios

Schlimmer geht immer

Letztendlich hat sich aber auch jetzt schon einiges rund um die Serie entwickelt. Grundsätzlich stört mich auch fast nichts großartig an der Serie. Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können, wenn man den Gerüchten um die Ideen von HBO und Netflix glauben darf. Mit dem Stören-lassen und Sich-aufregen hab ich schon bei den Herr-der-Ringe-Filmen aufgehört. Ich mag es grundsätzlich, neue Bilder zu bekommen, ob durch Film oder Kunst, daher ist es für mich so erfrischend, dass Peter Jackson nichts mit der Serie zu tun hat. Aber ich nehme sowohl Filme als auch die Serie immer gern zum Anlass, mir die Bücher noch einmal durchzulesen und mit neuen Leuten darüber zu reden, die jetzt erst zu Tolkien kommen. Das macht mir am meisten Spaß. Denn mit den Büchern können die Serie und auch kein Film schritthalten.

Numenor (C) Amazon Studios

Großes Budget, kleine Dimensionen?

Auch wenn es angesichts des absurden Budgets merkwürdig klingt: In der Serie war mir anfangs alles viel zu klein. Die Stärke Númenors, die Macht Saurons, alles ist so heruntergebrochen. Und das hätte die Serie nicht gebraucht. Wo sind die Heere in antikem Ausmaß? Wo ist die mächtige Flotte Númenors? Wo sind die burggleichen Galeeren? Warum sind die Elben so schwach? Aber wir haben ja noch vier Staffeln vor uns. Es kann also noch viel passieren. Und als Zuschauer muss ich mich von den Zeitvorgaben lösen und viel mehr auf die Motivationen achten. Denn diese sind der rote Faden, den die Macher vorgeben. Nun sind die Grundmotive geschaffen. Sauron ist in Mordor, die Elbenringe sind geschmiedet, Tar-Palantir ist tot, ein Istar geht nach Rûhn. Die Harfüße machen sich auf den Weg. Galadriel und Elrond sind die einzigen, die bisher um Saurons Gestalt wissen.
Ja, auch hier ist schon nicht alles 100% an den Vorlagen. Aber sind wir mal ehrlich: Wie viele Versionen der Geschichten Tolkiens gibt es in den Entwürfen? Und Tolkien hat auch den Hobbit nach der Veröffentlichung des Herrn der Ringe noch einmal angepasst − und selbst der Ring bekam auf einmal in einem bereits veröffentlichten Buch in einer weiteren Auflage noch einmal eine ganz andere Bedeutung.

Nun haben wir mit der Serie eine weitere Version, nicht aus seiner Feder, aber sie könnte es sein. Der Herr der Ringe und Der Hobbit haben zusammen gut 1.500 Seiten (je nach Ausgabe). Diese handeln von Ereignissen, die sich über die Zeit von 2.941 bis 3.019 D.Z., also über nur 78 Jahre, erstrecken. Diese sind von Tolkien sehr ausführlich beschrieben; und selbst hier ist so viel Platz rechts und links der Hauptgeschichte und so viele Ereignisse sind noch nicht auserzählt, dass sich davon auch eine ganze Serie machen ließe. Wenn wir jetzt ganz wild weiterdenken wollen: Wie viele Seiten hätte Tolkien für die Ereignisse gebraucht, um die Geschichten von Beginn des Zweiten Zeitalters bis hin zum Jahr 3.441 Z.Z. zu erzählen? Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Serie bis zum Tod Elendils erzählt wird.
Mit einem klassischen Dreisatz kämen wir also bei diesen Ereignissen, so ausgeführt, wie wir es in den zu Tolkiens Lebzeiten erschienenen Büchern gewohnt sind, auf stolze 66.173 Seiten. Will man dann noch die Ereignisse sagen wir mal rund um die Vertreibung Saurons aus dem Düsterwald im Jahr 2.941 D.Z. erzählen, so kämen noch einmal über 56.000 Seiten dazu. Insgesamt also mehr als 122.000 Seiten, das ist einundelfzig mal Der Herr der Ringe (was ein Zufall). Man kann meinen, ich habe zu viel in Natur und Wesen von Mittelerde gewälzt, dass ich anfange, solche Rechnungen anzustellen, und genauso ist es wahrscheinlich auch.

Axel Kleintjes, mit dem ich nach den Folgen lange und für uns beide sehr unterhaltende und aufschlussreiche Gespräche führen durfte, machte auf dem Stammtisch noch eine andere Rechnung auf: Würde man die Laufzeit in Minuten am Verhältnis der Laufzeit der Jackson-Trilogie zum Buch (Seitenanzahl) im Verhältnis zur geschätzten Laufzeit der Serie ausdrücken wollen, wäre die Serien-Laufzeit ca. 11.000 Minuten lang. In Wirklichkeit erwarten uns aber wahrscheinlich ca. 3.200 Minuten in fünf Staffeln bei ca. 75 Seiten (freundlich geschätzt). Da muss demnach irgendwo (neuer) Inhalt herkommen.

Morfydd Clark (Galadriel), Lloyd Owen (Elendil) (C) Amazon Studios

Die Sache mit der „Lore"

Was ich damit aber sagen möchte: Es gibt so viele verschiedene Versionen bis auf die beiden großen Bücher Der Hobbit und Der Herr der Ringe. Hätte Tolkien immer weiterschreiben können bis heute, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass auch Der Herr der Ringe von ihm noch einmal angepasst worden wäre. Etwas, was auch Maria Zielenbach nie müde wird zu erwähnen: „Würde Tolkien noch leben, wäre er immer noch nicht fertig.“ Von den Ereignissen im Ersten Zeitalter habe ich ja noch gar nicht mal angefangen. Das ist auch der Grund, warum ich mich mit einem Begriff wie „Lore“ in Tolkiens Welt immer schwertu. Wie ich durch die Serie lernen musste, denn hier wurde einem dieser Begriff ja ständig um die Ohren gehauen, handelt es sich um einen Begriff aus dem Rollenspiel. Er bezeichnet dort allgemein die Hintergrundgeschichte der Welt, in der das Rollenspiel stattfindet. Und genau das haben wir bei Tolkien halt, abgesehen von den zwei benannten Werken, nicht. Es gibt bei Tolkien keine Konsistenz, abgesehen von den erwähnten 78 Jahren. Und das ist nun genau das, warum ich mit der Serie überhaupt kein Problem habe. Ich lasse mich gern darauf ein, wie Patrick McKay und J.D. Payne zumindest ein paar dieser Lücken füllen und Motivationen schaffen in der groben Chronik, die uns Tolkien hinterlassen hat. Für mich ist die Serie somit ein wunderbarer Lesebegleiter; und ich sehe schon sehr viele Neuleser*innen auf uns zu kommen, die jenseits der Version, die uns Amazon präsentiert, noch zig weitere Versionen von Tolkien kennenlernen werden.

Morfydd Clark (Galadriel) (C) Amazon Studios

Ein Blick in den Palantir

Nun können wir spekulieren, wie es weitergehen wird in den nächsten Staffeln. Sauron ist in Mordor und wird dort womöglich seine Truppen sammeln und sich zum Herrn der Menschen aufschwingen, denn nur der König der Südlande ist ihm wohl nicht genug und im Geheimen wird er nun den Meisterring schmieden. Die Elbenringe sind geschmiedet, Cirdan wird gerade gecastet, einer der Ringträger zusammen mit Elrond (erst geht er an Gil-galad) und Galadriel. Wird nun der Weiße Rat gegründet und kommen die anderen Istari auch noch nach Mittelerde? Einer ist offensichtlich schon dort und macht sich auf den Weg nach Rûhn. Ist dies Olórin (Gandalf) oder doch Alatar oder Pallando? Ich tippe ja auf die Letzteren, denn Gandalf muss ja den Ring von Cirdan bekommen (Aber auch hier war ich lange überzeugt, dass der Meteorman ein Balrog ist. Nun wissen wir, es ist ein Istar, aber welcher, wissen wir immer noch nicht). Tar-Palantir ist tot. Kommt es nun zum Bürgerkrieg in Númenor? Wird Anárion noch eine Rolle spielen oder wird seine Rolle von Eärien übernommen, so wie Arwen die von Glorfindel in den Jackson-Filmen? Was ist mit Isildur und was werden Arrondir, Bronwyn und Theo in Pelargir vorfinden, werden sie dort wieder auf Isildur treffen? Wird Isildur gar durch seinen Aufenthalt dort zum Elbenfreund? Werden die Elben versuchen, Ar-Pharazôn zu warnen, und er schlägt es aus? Die Harfüße machen sich auf den Weg. Werden sie zu den Tälern des Anduin kommen und Kontakt zu den Zwergen haben und anfangen, Höhlen zu bauen? Werden Galadriel, Elrond und Cirdan den Weißen Rat gründen? Und wird Galadriel Celeborn wiederfinden, um mit ihm Lothlórien zu gründen?

Was ich mich auch gefragt habe: Warum kommt Der Untergang von Númenor und andere Geschichten aus dem Zweiten Zeitalter von Mittelerde eigentlich erst am 10. November raus? Vielleicht genau deswegen, weil wir das Buch für die erste Staffel gar nicht brauchten? Denn die ganzen epischen Schlachten, die großen Heere, das werden wir alles wohl erst in den kommenden Staffeln sehen. Die Zielereignisse stehen. Númenor wird untergehen. Die Zeiten sind anders als in den Büchern, aber die Motivationen sind gesetzt und stärker, als wir es durch die reine Chronik in den Anhängen und in den verschiedenen Versionen und Bruchstücken der Geschichten kennen. Ich bin sehr gespannt, was uns in diesem Buch erwartet, das da nun kommt. Hier schließt sich dann der Kreis zu den übrigen Büchern. Ich bin motiviert. Wir haben Lese- und Gesprächsstoff genug, bis die neue Staffel erscheint. Dann kommt da ja auch noch ein Kinofilm zu Helm Hammerhand. 

Ich hoffe, dass es noch episch wird und nicht so klein bleibt. Alles beginnt mit den Büchern − egal, was wer daraus macht. Dem Hobbit-Buch haben die Filme auch nicht geschadet. Es ist weiterhin ein sehr gutes Kinderbuch. Und wer weiß, vielleicht bekommt es noch irgendwann einmal eine gute Adaption. Bis dahin lest mehr Tolkien.

Sebastian Richartz ist langjähriges Mitglied der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V.. Er hat seinerzeit den Tolkien Stammtisch Linker-Niederrhein gegründet und ist Hauptverantwortlicher des Tolkien Tags in Geldern/Pont. 

Credits:

Fotos: Amazon Studios

  • Hat Dir der Beitrag gefallen?
  • janein
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner