Wer den Anfang verpasst hat: Tag 1.
Zu Beginn des zweiten Konferenztags beim Tolkien Seminar 2013 an der RWTH Aachen liefen zwei parallele Programmschienen, so dass ich nun nicht mehr im Detail über alles berichten kann. Gleich fünfmal tauchten am Vormittag Spiele, im weiteren Sinne, auf: Dr. Christian Weichmann sprach über Mittelerde auf Spielbrettern und warum die kein Kinderspiel sind, Natalia Gonzales de la Llana verglich ein Herr der Ringe Rollenspiel mit einem Brettspiel, u.a. in Bezug auf Erzähler, Charaktere, Spielzeit und –ort, Nicole Hützen und Tom Lothmann trugen “Bringing Tolkien to the table: Narrative filtering and conceptual metaphor in the table top game adaptations Der Herr der Ringe and Der Hobbit” vor, Marco Prost “Torn between books and movies: Video games adaptations from Lord of the Rings” und Thorsten Werner sprach über das Mittelerde Sammelkartenspiel.
Renée Vinck führte zunächst in die Welt der Fanfiction ein und erklärte, dass das Phänomen keineswegs ein neues sei: die Aeneas und die meisten Werke Shakespeares könnten z.B. als Fanfiction gesehen werden. J.R.R. Tolkien selbst schrieb neue und veränderte Versionen alter Geschichten, so z.B. Sigurd und Gudrún, “The Homecoming of Beorhtnoth Beorhthelm’s Son” und das demnächst erscheinende The Fall of Arthur. Der Unterschied zwischen moderner Fanfiction und anerkannten Neuerzählungen alter Stoffe ist oft nur ein rechtlicher: die alten Geschichten sind mittlerweile gemeinfrei, während für die meisten durch Fanfiction adaptierten Werke noch Copyright besteht. Dabei ist Harry Potter Fanfiction am populärsten, gefolgt von Twilight und Geschichten aus Mittelerde. Vinck beleuchtete dann, wie Tolkien zu Adaptionen seiner eigenen Werke gestanden hat. Einerseits propagiert er in „Über Märchen“ die Verwendung alter Themen und Mythen für die Kreation neuer Geschichten, andererseits reagierte er selten positiv auf Adaptionen seiner eigenen Werke.* Vinck stellte dann einige Fanfiction-Geschichten mit teilweise kritischem Inhalt vor, die u.a. Tolkiens Feindbild beleuchten (Haradrim und Orks) oder sich mit Religion in Tolkiens Kosmos auseinandersetzen. Interessanterweise sind viele dieser Autoren Akademiker und setzen sich zum Teil auch in Essays mit diesen Themen auseinander.
Sandra Hartl beleuchtete die Herr der Ringe-Parodie Bored of the Rings der Harvard Lampoon. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob diese Parodie nun die höchste Form der Anerkennung Tolkiens Werks sei, wie das Vorwort behauptet, oder doch eher eine Verunglimpfung. Wenn man sich zu später Stunde bei einer Veranstaltung der Deutschen Tolkien Gesellschaft – das Thing ist dafür prädestiniert – einfindet, merkt man schnell, dass auch eingefleischte Tolkien-Liebhaber keine ‚gebührende Ehrfurcht vor dem Meister‘ haben, denn was dort an kreativen Ideen rund um das Werk entsteht ist sicher nicht weniger subversiv wie die Parodie der Harvard Lampoon. Ich denke da z.B. an die Geschenke, die eine schwerhörige Galadriel vor langer Zeit in Marienthal ausgab, oder Middle-earth’s Next Topmodel, das vor zwei Jahren auf Burg Breuberg gekürt wurde. Kurz zurück zu Bored of the Rings: man war sich einig, dass die Wortspiele zwar witzig sind – wenn man sie denn versteht, denn sie sind schlecht gealtert – allerdings tragen sie die Geschichte nicht wirklich, so dass der Leser selbst schnell bored of the story (von der Geschichte gelangweilt) wird.
Nach einer wunderbaren Stadtführung durch Aachen, sprach Martin Sternberg am Nachmittag über adaptiertes Heldentum in Peter Jacksons Herr der Ringe-Verfilmung und wie die Psychologisierung vieler Charaktere nach üblicher Hollywood-Drehbuch Manier eben diese verfälscht und bei den Zuschauern auch nicht wirklich gut ankommt – selbst bei solchen die das Buch erst später gelesen haben, wie wir in Annie Birks Vortrag am Vortag erfuhren. Einige erfolgreiche Filme, die auf eine solche Psychologisierung verzichten, zeigten, dass das klassischen Heldentum auch heute noch unverfälscht dargestellt werden kann, darunter Gladiator, 300 und Last Samurai, sagte Sternberg. Annika Röttinger beschäftigte sich danach mit der Darstellung der Rohirrim als reitende Angelsachsen in den Filmen von Peter Jackson. So orientiert sich das Design der Waffen und Rüstungen an angelsächsischen Funden und die Rohirrim sprechen und singen auf Altenglisch.