UPDATE: Project Northmoor

Nortmoor Road 20 - Tobias M. Eckrich

Es gibt neue Erkenntnisse bezüglich Project Northmoor (wir berichteten), bei dem mithilfe von Spenden das Haus an der Northmoor Road in Oxford, das Tolkien 17 Jahre bewohnt hat, gekauft werden soll. Die Tolkien Society hat ein offizielles Statement zu dem Projekt veröffentlicht, die FAQ des Project Northmoor wurden aktualisiert und ein Interview mit der Initiatorin Julia Golding gibt Antworten auf einige Fragen.

Das Statement der Tolkien Society

Mittlerweile wurde ein Statement seitens der Tolkien Society zum Projekt veröffentlicht. Hierin wird nochmals betont, dass die britische Tolkien-Gesellschaft dem Project Northmoor weder zugehörig noch darin involviert sei. Darüber hinaus wurde ihr Vorsitzender, Shaun Gunner, von den Projektinitiatoren gefragt, ob er Teil des Werbevideos werden wolle. Spätestens nach dieser Frage galt es für die Vorstandsmitglieder der Tolkien Society, sich über diesen Spendenaufruf zu informieren und Stellung zu beziehen. Einstimmig haben sie entschieden, das Projekt nicht als eine Organisation anzusehen, welches die Öffentlichkeit über Tolkiens Leben und Werk informiert und auch nicht die Tolkien-Forschung unterstützt. Neben den bereits angesprochenen Kontroversen sehen es die Trustees ebenfalls kritisch, dass keine prominenten Mitglieder der Tolkien-Community dort eine hohe Stellung besetzen, die Northmoor Road Nr. 20 nicht zuletzt zu einem Bed&Breakfast umgestaltet werde und auch „spirituelle Tagungen“ abgehalten werden würden. Dies entspreche nicht den Satzungszwecken der Tolkien Society und somit könne man das Projekt nicht unterstützen.

Der Artikel in The Guardian

Auch die britische Zeitung The Guardian widmete dem Geschehen um dieses Projekt einen Artikel. Dabei wurde bekannt, dass der Tolkien Estate das Project Northmoor ebenfalls nicht unterstütze, eine Stellungnahme auf Anfrage des Guardian wurde jedoch abgelehnte. Laut ihres Twitter Accounts habe das Projekt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels bereits 250.000 Dollar gesammelt. Die problematisch angesehene Zusammenarbeit bei der Spendensammlung mit den christlichen Organisationen The Stewardship und The Signatry wurde in dem aktualisierten FAQ-Forum der Spendenwebsite nicht angesprochen. Fakt ist jedoch, dass alle Teilhaber des Projekts in christlichen Organisationen tätig sind oder es zumindest waren. 

Neuerungen in den FAQ des Projekts

Die neuen Aussagen in den FAQ versprechen zumindest eine Rückerstattung der über PayPal getätigten Spenden auf Anfrage beim Nichterreichen des Spendenziels. Zudem wurde just am Montagabend, den 7. Dezember 2020, ein Account bei der Spendenplattform JustGiving erstellt, worüber die Spender ihr Geld ebenso zurückerhalten können. In abweichenden Fällen würden die Gelder trotzdem noch an andere (teils unklare oder bereits problematisierte) Projekte gehen.

Das große Dilemma bleibt trotz (oder gerade wegen) dieser neuen Umstände immer noch bestehen. Zum einen suggerieren die Teilhaber des Project Northmoor, dass die Spenden gut investiert seien und auch in tolkieneske Schwerpunkte fließen würden. 
Andererseits bleibt die Kritik bestehen, dass es sich eben nicht um ein Projekt für die Tolkien-Forschung und die Vermittlung seiner Werke sowie seines Lebens geht, sondern andere Aspekte im Vordergrund stehen. 

Die Q&A Live Session auf YouTube

Am Mittwochabend, den 9. Dezember 2020, hostete der YouTuber Matt Graf von Nerd of the Rings eine Live Q&A mit der Schriftstellerin Julia Golding, der Initiatorin von Project Northmoor. Während des Interviews konnte live für das Projekt gespendet werden. In der Q&A wurde u.a. deutlich, dass geplant ist, aus dem Haus ein literarisches Zentrum zu gestalten, das vor allem für Schreibkurse und -workshops sowie als Rückzugsort für Schriftsteller gedacht ist. Julia Golding unterstrich diesen Aspekt, da sie sich missverstanden fühlte.

Sie führte zudem ihre Ideen aus, wie das Haus genutzt werden könnte. Sie stellt sich u.a. Schreibkurse vor, an denen etwa 10 bis 15 Menschen könnten, und die während der Zeit der Workshops im Haus wohnen würden:

Man würde zusammen wohnen und jeder würde ein Schlafzimmer haben, vielleicht auch eines teilen, je nach Lebensumständen, denn natürlich ist es billiger, wenn man ein Zimmer teilt, und einen Platz zum Schreiben und es könnten am Vormittag Seminare und Tutorien stattfinden, entweder in Gruppenarbeit oder in Einzelsitzungen. Der Nachmittag könnte aus geführten Wanderungen durch Oxford bestehen.
Julia Golding
Schriftstellerin

Sei sagte auch ausdrücklich, dass das Haus nicht als “Forschungscenter im akademischen Sinne” genutzt werden wird. “Es geht um Kreativität, um kreatives Schreiben, das ist es, was mich morgens aufstehen lässt.”, so Julia Golding weiter.

Das Haus würde also für Tolkien-Fans wohl noch etwas schwieriger zu „erreichen“ sein, als wenn es tatsächlich als eine Art „Bed&Breakfast“ geplant wäre. Allerdings sei Project Northmoor sehr offen für die Ideen der Fans, betonte Julia Golding im Interview. Auch Online-Kurse könne sie sich für diejenigen vorstellen, die weiter weg wohnen oder für die es finanziell schwierig sei, um vor Ort teilzunehmen.

Die in Oxford lebende Autorin hatte das Haus schon länger im Blick. Die Idee zu dem Projekt kam ihr während des zweiten Lockdowns im November:

Und mein Lockdown-Projekt war, die Theorie zu testen, dass Tolkien-Fans ein Tolkien-Zentrum wollen, natürlich ein literarisches Zentrum.
Julia Golding
Schriftstellerin

Zu den im Promotion-Video auftretenden Persönlichkeiten sagte Julia Golding:

All diese Prominenten haben sehr großzügig ihre Zeit gespendet. Sie sind nicht in irgendeiner Weise für mein Projekt verantwortlich. Sie sagen nur: Los geht's, Project Northmoor, mal sehen, ob ihr das hinbekommt!
Julia Golding
Schriftstellerin

Auf die Frage hin, was mit den Spenden passiert, die nicht über PayPal eingehen, wenn das Projekt nicht erfolgreich sein sollte, antwortete sie eher ausweichend:

Aber keine Spende bleibt bei diesen Plattformen. Und natürlich gibt es PayPal und JustGiving ist neutral, es ist nicht... es wird von unseren Zielen bestimmt, nicht von denen anderer. Man spendet also an... Ja. Das ist ein heikles Gebiet für mich, weil es sich anfühlt, dass... Ich war mir nicht bewusst, dass ich so wahrgenommen werde.
Julia Golding
Schriftstellerin

Hierbei bezog sie sich auf die Kritik an den christlichen Spendenplattformen und der generellen Intransparenz der Spendenwege. Julia Golding unterstrich im Interview, dass das Projekt für alle Glaubensrichtungen offen und im Haus jeder willkommen sei. Diese Plattformen seien lediglich die ersten gewesen, die ihre Hilfe angeboten hätten.

Als Grund für den „Schnellschuss“ des Projekts gab Julia Golding an, dass mit dem Verkäufer des Hauses eine Frist bis Mitte Februar vereinbart sei. Es müsse allerdings schon vorher deutlich werden, dass das Ziel erreicht werden könne, sagte sie. Bereits in der ersten Woche sei eine halbe Million gespendet worden. Sollte das Spendenziel nicht erreicht werden, stellt sie sich vor, mit dem Geld ein ähnliches Projekt an einem anderen, „weniger perfekten“ Ort aufzubauen.

Auch die Frage, warum davon gesprochen wird, das Haus zu „retten“, wo es doch nicht in Gefahr ist, wurde angesprochen. Julia Golding erläuterte, dass damit gemeint sei, es für die Fans zugänglich zu machen und es nicht erneut in Privatbesitz übergeht.

Interessant im Hinblick auf involvierte Tolkien-Experten war ein Name, der eher am Rande (im Zusammenhang mit Danksagungen) fiel: Joe Loconte, Autor von A Hobbit, a Wardrobe and a Great War, hat wohl bei der Videobearbeitung für das Promotion-Video geholfen. Eine inhaltliche Mitwirkung scheint allerdings bislang nicht geplant zu sein. Joe Loconte scheint laut Julia Golding nach wie vor an einer fünfteiligen Dokumentationsreihe (über die wir hier berichtet haben) über Tolkiens und C.S. Lewis’ Kriegserfahrungen zu arbeiten, für deren Umsetzung es 2017/18 ein Crowdfunding-Projekt gab. 

Aus dem Interview geht deutlich hervor, dass Julia Golding ein großer Tolkien-Fan und mit viel Herzblut dabei ist. Man merkt, dass sie sich bereits viele Gedanken um die Nutzung des Hauses gemacht hat und großes Interesse daran hat, das Wohnhaus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wie zugänglich allerdings eine Nutzung als literarisches Zentrum ist, das vorwiegend für Schriftsteller und Kreativschaffende gedacht ist, bleibt abzuwarten. 

Umfrage von Jeremy Edmonds

Am 6. Dezember startete Jeremy Edmonds, bekannt als Betreiber des “TolkienGuide“, eine Umfrage auf seinem Twitteraccount. Darin richtete er sich an Fans, die bereits für das Projekt gespendet hatten. Er fragte sie, was sie zum Zeitpunkt ihrer Spende für den Zweck des Projekts hielten. Am 10. Dezember endete die Umfrage mit 241 Teilnehmenden. 51,5% von ihnen hatten “Save Tolkien’s home” (“Rettung von Tolkiens zu Hause”) als Antwort gewählt. Wie auch in der Q&A Live Session mit Julia Golding klar geworden ist, hat diese Formulierung zu vielen Missverständnissen geführt. Daher kann nicht aufgeschlossen werden, dass ein großer Anteil der spendenden Fans tatsächlich angenommen hat, dass Haus müsse vor einem Abbruch bewahrt werden, was zu keinem Zeitpunkt der Fall war.

25.7% wählten “Tolkien Museum/B&B” und weitere 12% “Tolkien-Forschungscenter”. Nur 10,8% gaben den tatsächlichen Zweck des Projekts, nämlich das literarische Zentrum (“Creative Writing Center”), an.
Auch wenn diese Umfrage natürlich nur einen kleinen Teil der Spendenden abdeckt, so wird doch klar deutlich, dass der Zweck des Projekts nicht von Anfang an eindeutig kommuniziert wurde und es zu vielen Missverständnissen gekommen ist. Das ist insofern gravierend, als dass eine Rückerstattung der Spenden, sollte der Hauskauf scheitern, erst einmal nicht vorgesehen ist, sofern sie nicht über PayPal oder justgiving.com getätigt wurden.

Satire

Wo die Kritiker am Werk sind, sind auch die Satiriker nicht weit. Unter dem Namen “Project Smaugmoor” sammelt ein Twitteraccount  vermeidlich ein “Crowd-Hoarding Projekt, um Smaugs Erebor durch einen neuen Goldhord wiederherzustellen.” Außerdem ist man anscheinend auf der Suche nach Verköstigung für Smaug in Form von Zwergen, Hobbits und Fans. Der Account reflektiert aktuelle Entwicklungen im Project Northmoor, Spenden werden nicht angenommen.

Credits:

Fotos: Tobias M. Eckrich
Text: Willie Holtz, Maria Zielenbach, Sophie Bauer, Tobias M. Eckrich, Annika Röttinger

 

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