Habt Ihr Euch schon einmal gefragt, weshalb mehrere Personen den gleichen Namen, wie zum Beispiel Durin, Boromir oder Denethor, tragen? Und wie sich das mit Tolkiens Schreibstil verhält? Dieser Frage ging Alina Hadimbu in ihrem auf der Plattform Scifi Fantasy Network veröffentlichten Artikel J.R.R. Tolkien’s Writing Credibility: The One Trait that Makes It All Believable nach, in dem sie Tolkiens Schreibstil in seinen Büchern Das Silmarillion und Der Herr der Ringe analysiert.
Die Ähnlichkeit zu historischen Werken
In ihrem Text stellt sie heraus, dass weder die „reiche und sorgsam geplante Handlung“ noch die „beschreibenden Teile“ der Geschichte das Bemerkenswerte sind. Es ist die enorme und komplizierte Fülle an Informationen zur Hintergrundgeschichte und zur Mythologie, was dem Herrn der Ringe und dem Silmarillion dieses Gefühl einer anscheinend real passierten Geschichte verleiht und Arda zu einer anscheinend real existierenden Welt macht. Eben diese Informationsfülle macht die Geschichten in Arda und insbesondere in Mittelerde „glaubbar, fesselnd, überzeugend und wertvoll“ und teilt aber auch die Leser in die einen, die vor lauter Frustration die Bücher weglegen, und die anderen, die immer wieder in die Geschichten eintauchen wollen, um das „historische Gefühl“ erneut spüren zu können.
Dieses „historische Gefühl“ macht nach Alina Hadimbus Meinung den Schreibstil Tolkiens so besonders. Es dient nicht der schönen, phantasievollen und unterhaltenden Gestaltung der Geschichte, sondern einzig und allein einem „informativen Zweck“. Es stehen eher die „Anzahl an Taten und Ereignissen“ als die „Charaktergedanken und -gefühle“ im Vordergrund. Die Nennung von vergangenen Jahren, Taten und Schlachten, aber auch die Mehrfachnennung von Namen mit verschiedenen Charakteren als Besitzer tragen zu diesem „historischen Gefühl“ bei und verdichten sich zu einem Netz, das man als Leser durchdringen muss. Dieses Informationsnetz kann für manche „schwierig und frustrierend“ sein und einem das Gefühl geben, dass man niemals alles verstehen könne, es sei denn, man liest den Herrn der Ringe oder das Silmarillion ein zweites oder ein drittes Mal. Was nach Alina Hadimbus Meinung das ist, „was Tolkienfans tun“.
Die mehrfache Namensnennung
Die oben erwähnte Mehrfachnamensnennung kann man beispielsweise bei den Namen Boromir, Faramir oder Denethor feststellen. So haben die im Ringkrieg lebenden Menschen Boromir und Faramir jeweils einen Vorfahren, der schon den selben Namen getragen hat beziehungsweise nach dem sie benannt wurden. Auch bei dem Charakter Denethor, dem zum Ringkrieg amtierenden Truchsess, ist das genauso. Er ist eigentlich Denethor der Zweite, da er einen Vorfahren, auch einen Truchsess, mit demselben Namen hatte.
Diese Mehrfachnamensnennung in einer Familie ist eigentlich nichts Fremdes für uns, da es gang und gäbe war und ist, dass zum Beispiel jemand nach dem Großvater oder nach der Großmutter benannt wurde. Das gibt es zum Beispiel im britischen Königshaus. Aber auch in den Königsdynastien des Deutschen Reiches, dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation oder in Preußen war das keine Seltenheit. Durch die stetige Wiederholung der Namen in einer Familie gab es einen Wiedererkennungswert eben jener Familie in Zeiten, als noch keine Nachnamen gebräuchlich waren (die Namen der Königsdynastien wurden erst später von den späteren Generationen zur besseren Einprägung der Könige hinzugefügt; ein Karl der Große wusste zum Beispiel nicht zu seinen Lebzeiten, dass er zu den Karolingern gezählt werden würde; im deutschsprachigen Raum wurden Nachnamen für nicht adelige Familien erst in der zweiten Hälfte des Mittelalters gängig).
Dass dieses „historische Gefühl“ den Lesespaß der Bücher Der Herr der Ringe und Das Silmarillion ausmacht, liegt also vor allem an der Chronik Ardas und Mittelerdes mit ihren Namensmehrfachnennungen sowie Daten und Beschreibungen zu längst vergangenen Schlachten und Ereignissen. Aber auch die Stammbäume der Könige und Truchsesse Numenors, Arnors, Gondors und Rohans, die Landkarten, die Sprachen und Schriften Ardas und Mittelerdes spielen eine erhebliche Rolle. Es ist im Großen und Ganzen eine historische Geschichte, die mit unserer eigenen Geschichte vieles gemeinsam hat und die sich wieder und wieder zu lesen, zu studieren und zu analysieren lohnt.
Credits
Titelfoto: Tobias M. Eckrich