Rezension: Light Beyond All Shadow

English (original) version below

lightbeyondshadowIm Juni diesen Jahres erschien die Taschenbuchausgabe von Light Beyond All Shadow: Religious Experience in Tolkien’s Work, herausgegeben von Paul E. Kerry und Sandra Miesel, im Rowman & Littlefield Verlag und der Fairleigh Dickinson University Press. Die Sammlung von Aufsätzen ist der Folgeband von The Ring and the Cross, herausgegeben von Kerry, und im Mai im gleichen Verlag als Taschenbuch erschienen.

Kerrys Vorwort und Dankesworte haben mich gleich zu Anfang des Buches positiv gestimmt. Zunächst behauptet er nicht, dass eine religiöse Interpretation von Tolkiens Texten der einzig wahre Weg ist, um die grundlegende Ethik dahinter zu verstehen – ein ermutigender Anfang für alle Skeptiker und Ungläubige da draußen. Dann erwähnt er auch noch die Deutsche Tolkien Gesellschaft:

“Ich wurde unterstützt von der Tolkien Society des Vereinigten Königreichs und der Deutschen Tolkien Gesellschaft. Wo erstere lange etabliert ist, ist die Deutsche Tolkien Gesellschaft noch relativ neu, produziert dafür aber wachsend beeindruckende Tolkien-Forschung auf den Seiten des Hither Shore Jahrbuchs. Tolkien-Forscher ignorieren es auf eigene wissenschaftliche Gefahr!“ (S. x; meine Übersetzung)

Wir müssen unbedingt Zitate auf dem Klappentext der nächsten Ausgabe einführen!

In der Einleitung schreibt Mitherausgeberin Sandra Miesel über die Erforschung von Tolkiens Universum, und nennt dabei Themen wie Zweitschöpfung, Unsterblichkeit, Schicksal, der Fall und Verehrung. Erfrischenderweise wird hier der Islam erwähnt – und wie Vorhersehung in der Religion sich von der Musik der Ainur unterscheidet (s. S. 3) – auch wenn sich keiner der Artikel mit dem Islam beschäftigt. Das Buch konzentriert sich stattdessen darauf, wie Tolkien christliches und nicht-christliches Material kombinierte, auf Muster, Strukturen, Topoi und Einflüsse.

Im ersten Artikel beschäftigt sich Matthew Dickerson mit Wasser, Ökologie und Spiritualität. Er beobachtet scharf, dass Wasser oft negativ gesehen wird, vor allem im Hobbit und von den Hobbits, obwohl es eine solch wichtige Rolle in der Erschaffung von Mittelerde spielt. Dickerson verbindet die ökologischen Probleme unserer Welt mit den Schwierigkeiten, die Melkor, Sauron und Saruman bereiten, und zeigt auf, dass ‚böse Natur‘ in Tolkiens Werken von den zwielichtigen Bewohnern in der Region beeinflusst wurde, ähnlich wie der christliche Glaube, dass das Böse der Sünde die Schöpfung beeinflusst (s. S. 22).

In seinem Essay über göttliche Ansteckung, findet Roger Ladd heraus, dass die Macht der Valar durch Kontakt auf Elben und Menschen übertragen wird – eine Focault‘sche Sicht der Macht und somit eine relativ moderne. Er sieht diese Macht von Licht repräsentiert, welches schwächer wird, je weiter sie übertragen wird. Mit dem Licht schwächt sich allerdings auch der Schatten ab, so dass im Lauf der Zeit immer weniger machtvolle Feinde auftauchen. Anne C. Petty schaut sich christliche Ikonographie in Tolkiens Mythenschaffung an, insbesondere geflügelte Boten, heiliges Licht, Schatten und gefallene Engel. Das heidnisch-christliche Amalgam wird hier nicht als Widerspruch gesehen.

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Die kanaanäische Frau zu Füßen Christus von Jean-Germain Drouais (1784)

Glen Robert Gill analysiert biblische Archetypen im Herrn der Ringe, z.B. vergleicht er Smeagol mit Cain. Einige der Beispiele sind dabei leichter nachvollziehbar als andere. Besondere Schwierigkeiten habe ich mit Éowyn als Maria Magdalena (s. S. 72f). Pastor Manuel Kronasts Einblicke in die Parallelen zwischen der Schildmaid und der kanaanäischen Frau (s. Der Flammifer von Westernis 47, 3/2012) machen auf jeden Fall mehr Sinn.

Jared Lobdell erforscht den möglichen Konflikt zwischen Tolkiens Englisch-sein und dem römisch-katholischen Glauben. Er sieht eine Art Religionsausübung im Herrn der Ringe, auch wenn sie nicht explizit erwähnt wird, mit dem Schwerpunkt auf dem Gemeinwohl. Die Theologie Mittelerdes wird teilweise als häretisch angesehen, besonders in Bezug auf das Geschenk des Todes an die Menschen, aber Lobdell stimmt mit Tolkien überein, dass etwas das schlechte Theologie in der Primärwelt ist, durchaus die Wahrheit durch Legende in einer Zweitwelt hervorbringen kann (s. S. 93f). Ein interessanter Aspekt ist Lobdells These, dass die implizite Theologie des Herrn der Ringe der Zeit der theologischer Unruhen vor Nicaea (325 AD) oder dem Rat von Trient (1545-63) ähnelt, eine unerwartete Verbindung zur kirchlich-dogmatischen Geschichte.

Julian Eilmann, Beisitzer im DTG-Vorstand, beginnt seinen Artikel mit einem bestimmten Fall von Verzauberung durch Musik (Frodo in Bruchtal) und geht dann weiter auf Magie und die Schöpfung von Arda ein, von einem kleinen Detail bis hin zum großen Konzept, das die Basis für Tolkiens Werk bildet. Dort ist Musik der Kern der Schöpfung und jeder Dichter wird zum (Zweit-)Schöpfer. Eilmann geht dabei u.a. auf Parallelen zur Romantik ein. John Warwick Montgomery stellt die Frage, ob Tolkien ein New Age-Schriftsteller war, und spricht sich gegen eine okkulte Interpretation der Texte aus. Das Essay ist sehr kurz und liest sich eher wie eine Antwort in einem online Diskussionsforum statt wie ein Artikel. Obwohl all seine Gegenargumente berechtigt sind, und er realisiert, dass Der Herr der Ringe – welchen er fälschlicherweise als Trilogie bezeichnet – komplex genug ist um verschiedene Interpretationen einzuladen, kann er selbst nicht über den Tellerrand einer christliche Lesung des Texts hinaussehen: „Wahrhaftig funktioniert Der Herr der Ringe wie ein literarischer Johannes der Täufer – er ist nicht Christus, aber zeigt unerbittlich auf ihn, um so andere zum Kreuz, zur Auferstehung und einem neuen Himmel und einer neuen Erde zu führen.“ (S. 123, meine Übersetzung)

Robert Lazu bietet einen faszinierenden Einblick in die spirituellen Übungen der Jesuiten, in welchen die Fantasie für religiöse Praktiken und Meditationen gebraucht wird. Er stellt eine Verbindung zu Tolkiens Essay „Über Märchen“ her und sieht seine Werke in ähnlicher Tradition, als Mythen die alte Wahrheiten in sich tragen und dem Leser christliche Werte näherbringen. Miesel schreibt über Tolkiens lebensspendende Frauen und stellt dabei Mittelerdes Frauen und die Valier katholischen Vorstellungen von Heirat, Gehilfin und Familie gegenüber, und findet heraus, dass sie teilweise konform mit, teilweise aber auch entgegen traditionellen Rollen dargestellt werden. Colin Duriez verfolgt bekannte und weniger bekannte Inklings – die von C.S. Lewis beschrieben wurden als informeller Klub, dessen Mitglieder eine Tendenz zum Schreiben und das Christentum als Gemeinsamkeit hatten (s. S. 155) – und deren Einfluss auf Tolkien. Der Artikel bietet tolle Einblicke in Tolkiens Umfeld, beschäftigt sich aber an manchen Stellen zu sehr mit der Unterscheidung zwischen wichtigen und weniger wichtigen Inklings und Kneipen- vs. literarische Treffen.

Russell W. Dalton untersucht Manichäismus und Boethianismus anhand eines verworfenen Konzepts zum Sieg über das Böse (Aragon kämpft mit Sauron) in Peter Jacksons Filmadaption von Die Rückkehr des Königs. Es ist erfrischend, jemanden zu lesen, der die Unterschiede zwischen Film und Buch als Medium und deren unterschiedliche Konventionen herausstellen kann, statt einfach nur über den Film zu schimpfen (oder verworfene Skripte) wegen einer Abweichung von Original. Im letzten Artikel schaut sich Christopher Garbowski die spirituellen Werte an, die im Film ‚überlebt‘ haben. Er schließt, dass die Grundaussage erhalten bleibt, mit dem verbleibenden Schwerpunkt auf Gemeinschaft statt auf einem typisch amerikanischen Helden und seiner individuellen Queste. Nebenbei sei allerdings bemerkt: Ridley Scotts “Blade Runner” ist sicher keine Subversion von Star Wars. Der Film basiert auf einem Roman von Philip K. Dick, Träumen Androiden von elektrischen Schafen?, aus dem Jahre 1968. Der Erfolg von Star Wars mag vielleicht den Weg für die Produktion dieses SciFi-Streifens geebnet haben, aber Harrison Fords Rolle darin ist mit Sicherheit keine „verlebte Karikatur seiner Han Solo Persona“, (S. 191; meine Übersetzung) sondern ein völlig eigeneständiger Charakter.

Alles in allem bietet Light Beyond All Shadow eine Menge Erkenntnisse dazu, wie Tolkien christliches Material in seinen Werken verarbeitet und transformiert hat, und wie die ‚Botschaft‘ den Leser erreicht – und selbst den Zuschauer von Peter Jacksons Adaptionen. Obwohl alle Artikel wissenschaftliche Tiefe besitzen, sind sie für das allgemeine Lesepublikum verständlich, so dass man das Buch sowohl Akademikern als auch denen empfehlen kann, die sich zum ersten Mal über das Themengebiet informieren wollen.

Rezensionsexemplar: Kerry, Paul E., Sandra Miesel. Light Beyond All Shadow: Religious Experience in Tolkien’s Work. Lanham: Fairleigh Dickinson University Press / Rowman & Littlefield, 2013.

Marie- Noëlle Biemer studierte Anglistik, Russistik und BWL an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und Business Studies an der University of Bradford, UK. Sie arbeitet als Redakteurin bei einer englischsprachigen Fachzeitschrift in Frankfurt. Zu ihrem Lieblingsthema William Morris und dessen Einfluss auf J.R.R. Tolkien hat sie bereits zwei Artikel veröffentlicht. Als Pressesprecherin der Deutschen Tolkien Gesellschaft kümmert sie sich um Presseanfragen, –mitteilungen und die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Sie ist außerdem Redakteurin der DTG Website.

 

Review: Light Beyond All Shadow

In June this year, the paperback edition of Light Beyond All Shadow: Religious Experience in Tolkien’s Work, edited by Paul E. Kerry and Sandra Miesel was published by Fairleigh Dickinson University Press and Rowman & Littlefield. The collection of essays is an accompanying volume to The Ring and the Cross, also edited by Kerry and issued as a paperback in May by the same publisher.

Kerry’s preface and acknowledgements at the beginning of the book immediately set me into a positive mood for what was coming. First, he does not claim that a religious interpretation of Tolkien’s texts is the only ‘right’ way to access the ethics that lie beneath – a reassuring opener for all the sceptics and unbelievers out there. Then he mentions the German Tolkien Society:

“I have also been assisted by members of The Tolkien Society in the United Kingdom and the Deutsche Tolkien Gesellschaft. Although the former is well-established, the German Tolkien Society is relatively new but is producing increasingly impressive Tolkien research in the pages of its journal Hither Shore. Tolkien scholars ignore it at their own academic peril.” (p. x)

We need to introduce blurbs to our next edition!

In the introduction, co-editor Miesel writes about exploring Tolkien’s universe, mentioning such topics as secondary creation, immortality, destiny, the Fall, worship. It is refreshing to see a mention of the Islam for a change – and how its predestination differs from the Music of the Ainur (cf. p. 3) – but none of the articles in the book takes up that particular religion for further research. The work instead concentrates on how Tolkien combined Christian and non-Christian material, on patterns, structures, topoi and influences.

In the first essay, Matthew Dickerson explores water, ecology and spirituality. He keenly observes that water is often seen negatively, especially in The Hobbit and by the hobbits, even though it holds such importance in Middle-earth’s creation. Dickerson links our world’s ecological issues with troubles caused by Melkor, Sauron and Saruman, and points out that ‘evil nature’ in Tolkien’s work has been affected by the evil dwellers in the region, much like the Christian belief that the evil of sin affects creation (cf. p. 22).

In “Divine Contagion”, Roger Ladd finds that the power of the Valar seems to be passed down to elves and men through contact – a Focaultian vision of power and thus a very modern one. He sees that power represented by light, which dims as it is passed down further. With the light, the shadow also weakens, so that less and less powerful foes are encountered through the ages. Anne C. Petty looks at Christian iconography in Tolkien’s myth-making, focusing on winged emissaries, sacred fire, light, shadow and fallen angels. The pagan-Christian amalgam is not seen as a contradiction here.

Glen Robert Gill analyses Biblical archetypes in The Lord of Rings, linking Smeagol to Cain, for example. Some of the examples are easier to follow than others. I especially have difficulty with Éowyn as Mary Magdalene (cf. p. 72f). Pastor Manuel Kronast’s insights into the Shieldmaiden’s parallels to the Canaanite Woman (cf. Der Flammifer von Westernis 47, 3/2012) certainly make a lot more sense.

Jared Lobdell explores the possible conflict between Tolkien’s Englishness and Roman Catholic beliefs. He sees a form of worship in The Lord of the Rings, albeit not an explicit one, with its focus on working for the common good. Middle-earth’s theology has been seen as heretical in a sense, especially concerning the gift of death to Men, but he sides with Tolkien’s assessment that what is bad theology in the primary world may bring out truth through legend in the secondary (cf. p. 93f). An interesting aspect mentioned is Lobdell’s suggestion that the implicit theology of The Lord of the Rings is that of the days of theological ferment before Nicaea (325 AD) or the Council of Trent (1545-63), presenting a link to doctrinal church history.

“I am the Song” by DTG Board Member Julian Eilmann moves from one single instant of enchantment through music (Frodo in Rivendell) on to magic and the creation of Arda, from a small detail to the larger concept underlying Tolkien’s work, in which music is the essence of creation and each poet becomes a (sub-)creator. Amongst other things, he explores parallels to Romanticism. John Warwick Montgomery poses the question if Tolkien was a New Ager and speaks against occult readings of the text. The essay is very short and reads like an answer written to ideas posted on some online discussion board rather than an article. While all his refutations have merit, and he realises that The Lord of the Rings – which he incorrectly refers to as a trilogy – is complex enough to enable different readings, he himself cannot see beyond a Christian interpretation of the text: “In a real sense, The Lord of the Rings functions as a literary John the Baptist – it is not the Christ but it points inexorably to him, thereby leading others to the Cross, Resurrection, and a New Heaven and a New Earth.” (p. 123)

Robert Lazu gives a fascinating insight into Jesuit spiritual exercises, in which the imagination is called upon for religious practices and meditation. He links this with Tolkien’s essay “On Fairy Stories” and sees the author’s works in a similar tradition, as a myth carrying old truths, imparting Christian values to the reader. Miesel writes about “Life-Giving Ladies”, linking Middle-earth’s women and the Valier to Catholic notions of marriage, helpmate and family, but also showing deviations from traditional role models. Colin Duriez charts well- and lesser-known Inklings, described by C.S. Lewis as an “informal club […]: the qualifications are a tendency to write and Christianity” (p. 155), and their impact on Tolkien. The article offers some great insights into Tolkien’s environs but is at times a bit too preoccupied with the distinction between major and lesser Inklings and pub vs. literary meetings.

Russell W. Dalton explores Manichaesim and Boethianism by means of an abandoned concept of overthrowing evil (Aragorn battling Sauron) in Peter Jackson’s film adaptation of The Return of the King. It is refreshing to see someone actually point out the differences between film and book as a medium and their different conventions, instead of just bashing the film, or previous scripts, for their deviations from the original. Finally, Christopher Garbowski takes a look at spiritual values that have ‘survived’ into the films, concluding that the message comes through, with the focus remaining on fellowship and community rather than putting forth the all-American hero on his individual quest. On a side note: Ridley Scott’s “Blade Runner” is surely not a subversion of Star Wars. The film is based on a novel by Philip K. Dick, Do Androids Dream of Electronic Sheep?, written in 1968 The success of Star Wars may have paved the way for production of this SciFi movie, but Harrison Ford’s role is certainly no “jaded caricature of his Han Solo persona,” (p. 191) but a totally distinct character.

Overall, Light Beyond All Shadow offers a range of insights into how Tolkien used and transformed Christian material in his work and how the ‘message’ reaches the reader – and even the viewer of Peter Jackson’s adaptations. While the articles all have scholarly depth, they are understandable to the general reading public, so that the book can be recommended to both academics as well as those who wish to explore the subject area for the first time.

Review copy: Kerry, Paul E., Sandra Miesel. Light Beyond All Shadow: Religious Experience in Tolkien’s Work. Lanham: Fairleigh Dickinson University Press / Rowman & Littlefield, 2013.

Marie-Noëlle Biemer studied English, Russian and Business at the Justus-Liebig-Universität in Gießen and Business Studies at the University of Bradford, UK. She now works as a news editor for an English-language publication in Frankfurt. She has published two articles on her favourite topic of William Morris and his influence on J.R.R. Tolkien. As press officer of the German Tolkien Society she takes care of the society’s public relations. She is also an editor of the society’s webpage.

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