Vom 15. bis 18. Juli 2010 traf sich die Deutsche Tolkien Gesellschaft zu ihrer alljährlichen großen Mitgliederversammlung mit Programm. Und fast alle waren sich einig: Die Idee, das Treffen auf vier Tage auszudehnen, war goldrichtig. So blieb mehr Zeit für vieles – außer für Langeweile.
Das Angebot reichte von einem opulenten Begrüßungsbuffet am Donnerstagabend, das unsere dänischen Gäste von der Tolkiengesellschaft “Bri” organisierten, bis zu den musikalischen Highlights dieses Wochenendes: der Besuch von Kim Skovbye, der seine keltische Harfe mitbrachte, und der gemeinsame Auftritt der beiden führenden Köpfe des Tolkien-Ensembles, Caspar Reiff und Peter Hall, die damit am Samstagabend eine stimmungsvolle Überleitung zur Long-Expected Party boten. Ohne unsere Freunde aus Dänemark hätte es diesmal einige Löcher im Programm (und auch im Magen) gegeben.
Zwischen den Highlights bot sich in Workshops und Vorträgen die ganze Vielfalt der Themen: Neben einer Dauerschau mit Miniaturen und Tabletop-Panoramen samt Probespielen und Einführung in das Figurenbemalen konnte man sich von Ulrich Hacke auf “Pauschalreisen durch Mittelerde” (Teil 3) mitnehmen lassen, etwas über Blumennamen von Hobbits und ihre Bedeutung erfahren (Heike Grasenack), Marcel Bülles und Tim Lohmann darüber streiten lassen, ob Boromir der bessere Ringträger gewesen wäre, einen Blick auf zahlreiche alte und neue Parodien zum Herrn der Ringe werfen (Heidi Steimel), etwas zum Sigurd und Gudrun-Projekt des Klett-Verlages (Stefan Askani) hören, sich in die Geschichte Númenors vertiefen (Andreas Zeilinger) oder sich mit Vampiren und Werwölfen gruseln (Antje vom Lehm), die in der Frühzeit des Silmarillions offenbar noch häufiger waren. Was Tolkien und die Hethiter verbindet, erläuterte Thomas Fornet-Ponse (wobei die Frage, wie eigentlich genau die alten Schriften entziffert wurden, etwas zu kurz kam – Stoff genug für einen späteren Vortrag). Martin Sternberg ging auf den Aspekt des Heldentums in der Verfilmung ein, zeigte Schwächen des Konzepts von Peter Jackson auf und machte Vorschläge, wie das Drehbuch besser ausgesehen hätte. Anke Eißmann warf einen Blick auf “Tolkien als Künstler”.
Eisenbahnen in Mittelerde?
Schließlich baute Christoph Hirsch vor den Augen der verblüfften Zuschauer den Plan eines möglichen Eisenbahnnetzes kreuz und quer durch Mittelerde auf, wobei er aus der Sicht des Bahnexperten die möglichen Hindernisse (von der Wasserversorgung über Tunnelbau bis zu diplomatischen Verwicklungen) schilderte. Vom Intercity bis zum Anrufsammeltaxi wurde so nach und nach jeder Winkel erschlossen, ein paar Schutzgebiete ausgenommen. Ein etwas ernüchternder Vortrag mit seiner Entzauberung einer Phantasiewelt (“Die Ents werden zu Bahnschwellen verarbeitet”), der aber durch seine anschauliche Art half, die eine oder andere Ecke Mittelerdes noch besser kennenzulernen. Vielleicht wird der Veranstalter von “Findegils Pauschalreisen“ einer der ersten großen Kunden der neuen Eisenbahngesellschaft.
Währenddessen führte Thomas Morwinsky seine kleine Gruppe von Rollenspielern für mehrere Tage durch Mittelerde – eine eigene Form der “Zweitschöpfung” mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, wie er in seinem Vortrag dazu erläuterte, die man weder mit herkömmlicher Literatur noch mit anderen Medien wie Film gleichsetzen kann. Die Unverzagten schließlich konnten an einem Whisky-Tasting teilnehmen oder bis in die Nacht hinein an “Saurons Kellerbar“ ihr Spielglück und ihre Trinkfestigkeit erproben.
Wenn sich dann bei dem einen oder anderen Zuhörer einmal die Augen schlossen und der Kopf auf die Brust sank (wo er dem Herzen bekanntlich näher ist), so war das keineswegs als Mißachtung des Referenten oder auch nur Desinteresse zu verstehen – vielmehr wurde man durch die schöpferische Kraft des Gehörten immer wieder in einen Zustand der Inspiration versetzt, in dem man dringend an seinem jeweils neuesten Gedicht arbeiten wollte. Sicher werden in nächster Zeit viele neue Gedichte zu hören sein.
CSI und Flugbereitschaft
Heimliche Stars des Things waren aber die Mädels vom Dekoteam. Mit viel Mühe, Einfallsreichtum und vor allem Liebe zum Detail hatten sie das Haus mit kleinen und großen Schmuckstücken versehen: die Karte von Minas Tirith im Eingang, bewacht von einem lebensgroßen eidbrüchigen König, das Moria-Tor mit seiner Inschrift als goldbestickter Vorhang (es gab bereits Anfragen, ob er käuflich sei), Spinnennetze samt Bewohnern im Treppenhaus, kleine Blumengestecke, Plüschtierchen oder Edelsteine auf den Ablageflächen in der Halle. Im Speisesaal war jeder Tisch einem eigenen Volk von Mittelerde gewidmet: Ähren und Hufeisen für Rohan, Blumen und Gartenschaufel für die Hobbits, Knochenschmuck bei den Orks. Die Istari hatten selbstverständlich einen kleinen Plüschadler an ihrer Seite (für den Fall eines dringenden Auftrags vermutlich). In entsprechenden Workshops konnte man den Expertinnen einige ihrer Geheimnisse ablauschen: vom Kostümnähen bis zum Horror-Make-up.
Immer wieder blieben die Thing-Besucher am CSI-Gelände stehen: Ein Ausschnitt der Pelennor-Felder war hier als Tatort nachgestellt und mit Polizei-Flatterband abgesperrt. So mochte die Szenerie aussehen ein paar Stunden nach König Théodens Tod, wenn die Leute von der Spurensicherung ihre Arbeit getan haben und der Fotograf noch im Stau steckt. Die Umrisse von König und Pferd waren mit Kreide nachgezeichnet, der schwarze Pfeil lag daneben, ebenso der von Éowyn abgeschlagene Kopf samt Hals des geflügelten Nazgûl-Reittieres (mitten durch einen Wirbel fuhr das Schwert), alles schön mit Nummernkärtchen versehen. Einen Schwertgriff ohne Klinge sieht man – und natürlich Nr. 10: die Eule. Eine Eule? In der Tat war hier wohl die “Nr. 10” das “Thema Nr 1”. Was macht eine Eule auf den Pelennor-Feldern? Gibt es sie wirklich? Wer neugierig ist, kann die Stelle im Buch selber nachlesen – oder Hinweise in unserem Forum finden.
Zu Fuß, zu Wasser und zu Pferde
Wer etwas anderes sehen wollte, konnte sich einem der Ausflugsprogramme anschließen: An einer Stadtführung durch Minas Hersfeld oder an einem Ausritt für Profis mit den “Glockenreitern” teilnehmen oder sich auf eine Bootsfahrt über den Anduin wagen (der von den Einheimischen “Fulda” genannt wird). Trotz Regens hatten die sechs Unverzagten viel Freude an ihrer kleinen Tretbootregatta. Sie schafften es allerdings trotz des Regens nicht bis Valinor, und so kehrten sie vorsichtshalber wieder um.
“And then it seemed to him that as in his dream … the grey rain-curtain turned all to silver glass and was rolled back, and he beheld white shores and beyond them a far green country under a swift sunrise.” (HdR, letzter Band, letztes Buch, letztes Kapitel, letzte Seite).
Die zufriedene Stimmung nach dem Konzert von Kim Skovbye am Freitagabend wurde vom Vorstand geschickt ausgenutzt, um gleich eine Mitgliederversammlung zu veranstalten. Es standen mehrere Satzungsänderungen auf der Agenda, und einige Vorstandsmitglieder waren neu zu wählen, da Marcel Bülles von seinem Amt als Erster Vorsitzender zurücktrat. Zweifellos ein großer Verlust für die DTG. Im Forum finden sich bereits zahlreiche Dankesworte. Es werden sicher nicht die letzten sein. Auch wurde das Seminarthema für 2011 beschlossen: “Tolkien und das Mittelalter“. Das Seminar wird stattfinden in Potsdam, voraussichtlich am Wochenende um den 1. Mai 2011.
Jede Menge Musik
Wer jemals der Faszination der keltischen Harfe erlegen ist, der wird sich besonders über den Auftritt von Kim Skovbye gefreut haben. Am Freitagabend verzauberte er das Publikum eine Stunde lang nicht nur mit seiner Musik, sondern auch mit kleinen Geschichten über sein Leben – und seine Begegnung mit Hobbits. Er bezieht sich auch auf sein Verhältnis zu Tolkien, wenn er auf seiner Webseite schreibt: “I am a very happy man, if I in the same way with my music can inspire people and bring a little more magic into their lives.”
Schon früh hatte Caspar Reiff, Begründer des Tolkien Ensembles, sein Kommen zugesagt. Nun brachte er auch gleich seinen Partner Peter Hall mit. Gemeinsam gaben sie am Samstagabend ein Gratiskonzert nur für die Thingbesucher. Da fiel ihnen die Zusage relativ leicht, bei nur einem einzigen falschen Ton bekämen alle ihr Geld zurück (“abzüglich zehn Prozent Verwaltungskosten”). Sie könnten zwar nicht die über hundert Mitglieder des vollständigen Ensembles ersetzen, wie Caspar Reiff fast entschuldigend erklärte, aber dennoch schafften sie es, mit Gitarre, Mandoline, Reelpipe, Mundharmonika und vor allem ihrer Stimme (einschließlich kleiner Geschichten zwischendurch) genau das besondere Flair zu erzeugen, das man auch von dem vollständigen Ensemble kennt (die Tänzerinnen vielleicht mal ausgenommen). Es ging über mehrere Zugaben, draußen wurde es inzwischen dunkel („Darkness for dark business“), und beim Zwergenlied schließlich („Far over the misty mountains cold…“) war das Publikum ausdrücklich zum Mitsingen aufgefordert (notfalls mit „lalala“, falls man sich den Text nicht merken könne).
Bereits am Nachmittag hatte Caspar Reiff sein Projekt eines Hobbit-Musicals vorgestellt. Einzelne Szenen in konzertanter Aufführung wurden bereits produziert. Für eine bühnenreife Realisierung würden aber eine Menge Hürden zu überwinden sein – die Klärung von Rechten bis hin zu den schnöden Finanzen (ein Musical produziert man nicht mit Taschengeld). Er sieht daher keine große Chance für eine Realisierung. Trotzdem arbeitet er gerne daran, und er wird sicher viele Daumendrücker finden.
Long-expected Party
Nach dem Konzert von Caspar Reiff und Peter Hall war die “Long-expected Party” genau das Richtige, um den Samstag ausklingen zu lassen. Viele Teilnehmer hatten sich kleine Unterhaltungseinlagen einfallen lassen: Jens Götz trug seine gereimte Kurzfassung des Herrn der Ringe auf Hessisch in Form einer Büttenrede vor. Unsere dänischen Freunde von der Gesellschaft “Bri” hatten ein Singspiel vorbereitet. Heidi Steimel heizte als Cheerleader “Pink Wizard” die Stimmung an. Tobias Eckrich hatte die Fußballweltmeisterschaft noch einmal mit animierten Standfotos aus HdR-Plüschfiguren und der passenden Musik nachgestellt. Andreas Zeilinger führte uns mit einer Lesung in den unwiderstehlichen Sog von König Théodens dramatischem Ritt zu seinen letzten Kampf auf den Pelennor-Feldern (womit wir fast wieder bei CSI Minas Tirith angekommen wären), und Tim Scholz zauberte nicht nur eine Gitarre, sondern auch eine Reihe launiger und lustig-makabrer Balladen aus dem Hut, die ihm außer Applaus auch “Mehr! Mehr!”-Rufe einbrachten.
So nach und nach fielen alle ins Bett. Und wenn man nicht gerade im Erdgeschoß wohnte, das um 9 Uhr geräumt sein sollte, konnte man friedlich in den Sonntag hinüberdämmern.
Als dann im Laufe des Sonntags die Gemeinschaft sich allmählich auflöste (keineswegs für immer), da hörte man immer wieder diesen Satz: “Das war das beste Thing, das ich seit langem erlebt habe!”
(Ausführlicher Bericht im nächsten Flammifer)
… quite a long time! Our annual general meeting, complete with a four-day programme around all things Tolkien, was held in Minas Hersfeld from July 15-18, 2010.
Wilfried Schönfelder writes a long report about his impressions of the event: the colourful presence of our international guest, the Danish Tolkien Society “Bri”; two concerts, one by harpist Kim Skovbye, one by the core part of the Tolkien Ensemble Caspar Reiff and Peter Hall. He highlights some of the workshops and lectures, the amazing job our decorations team did with its CSI Pelennor, the activities out in the city itself, the Long-expected Party, and much much more. Have a look at the German version of the article for some pictures.
Summary: Marie-Noelle Biemer