Hither Shore
Interdisciplinary Journal
on Modern Fantasy Literature
Jahrbuch der
Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V. (DTG)
Das Jahr 2 nach Jackson war geprägt durch »Die Rückkehr der Normalität« Die »extended versions« der Filmtrilogie wurden ausführlich begutachtet, diskutiert und in den kritischen Diskurs eingearbeitet und sind nun Geschichte – wenn auch sicherlich mit Langzeitwirkung. Die drei wichtigen akademischen Ereignisse von nationaler und internationaler Bedeutung in 2005 haben sich dann auch nicht auf die Filme im Besonderen konzentriert (wenngleich diese nicht ignoriert wurden), sondern Tolkiens Bücher in den Mittelpunkt gestellt.
So fand das zweite Tolkien Seminar der Deutschen Tolkien Gesellschaft (DTG) an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena statt. Neun Forscher präsentierten Vorträge, die Tolkiens Weltbild (er) beleuchteten und im vorliegenden Band in überarbeiteter Form abgedruckt sind. Die Tagung stand einem breiten Publikum offen und wurde von mehr als 80 Teilnehmern besucht – die zum Teil sogar von so weit her angereist waren wie Cambridge und Zürich.
Die zweite Konferenz, diesmal von internationalem Format, war die 2005 Tolkien Conference an der Aston Universität in Birmingham mit über 600 Teilnehmern aus der ganzen Welt. Die Tagung konnte sich, was Größe, Dauer und Bandbreite betrifft, durchaus mit der Centenary Conference von 1992 messen. Die Organisatoren stellten, in Zusammenarbeit mit zahlreichen Tolkien- Gesellschaften aus aller Welt, ein abwechslungsreiches Programm zusammen. Unter anderem präsentierten Tolkien-Forscher mit Star-Status wie Tom Shippey und Verlyn Flieger, Autoren wichtiger Monographien wie Patrick Curry, John Garth und Christopher Garbowski, international bekannte Künstler wie Alan Lee, John Howe und Ted Nasmith ihre Werke und hielten Vorträge. Man darf auf die Publikation des Konferenzbandes gespannt sein. Und auch wenn den Organisatoren ihre wohlverdiente Ruhepause gegönnt sei: Eine ähnliche Konferenz in nicht allzu ferner Zukunft wäre wünschenswert.
Die malerische Stadt Wetzlar, Heimat der Phantastischen Bibliothek, war die Gastgeberin der dritten Konferenz, die gemeinsam von der DTG, den Inklings und der Phantastischen Bibliothek ausgerichtet wurde. Die Vorträge boten eine interessante Auswahl aus der vornehmlich deutschen Tolkienforschung, und ein Tagungsband wird in der Schriftenreihe der Phantastischen Bibliothek erscheinen.
Ein Blick in den Rezensionsteil des vorliegenden Bandes zeigt, dass 2005 zahlreiche Monographien und Sammelbänden zu Tolkiens Werk erschienen. Zu nennen sind die Tolkien Studies 2, die mit einem sowohl inhaltlich wie umfangmäßig substantiellen Band an den Erfolg der ersten Nummer anknüpfen, und Verlyn Flieger, die ihre überarbeiteten Artikel zum Silmarillion in Buchform publizierte und damit einen wichtigen Beitrag zur Erschließung dieses oftmals vernachlässigten Werks leistet. Marjorie Burns analysiert die keltischen und nordischen Quellen und Einflüsse in Tolkiens Werken, und Lynnette Porter vergleicht die Darstellung der Nebenfiguren in Buch und Film. Damit hat die „amerikanische Sektion“ wieder einmal ihre Vorherrschaft unter Beweis gestellt.
Die „Alte Welt“ war jedoch nicht untätig. Alex Lewis und Elizabeth Currie stellten den zweiten Band ihrer mehrteiligen Serie zu den Einflüssen und Hintergründen von Tolkiens Werk fertig, Allan Turner publizierte seine gewichtige Studie zur Übersetzungsproblematik, und Walking Tree Publishers veröffentlichten einen weiteren Band in der Cormarë Series. Die deutschsprachige Tolkienforschung trat mit zwei Büchern in Erscheinung: Alexander van de Berghs Buch zur zeitgenössischen Relevanz von Tolkien und der Studie von Honegger/Johnston/Schneidewind/Weinreich zur moralischen Dimension von Tolkiens Werk.
Damit liegt die deutschsprachige Tolkienforschung zwar noch immer hinter der englischsprachigen, aber es herrscht Aufbruchstimmung. Und es ist zu hoffen, dass wir in der nächsten Hither–Shore-Ausgabe eine größere Anzahl deutschsprachiger Publikationen vermelden können.
Die (west-)europäische Tolkienforschung findet sich derzeit in der komfortablen Lage, dass sie zwischen drei auf Tolkien (und phantastische Literatur) spezialisierten Verlagen wählen kann: Scriptorium Oxoniae (Deutschland, Publikationen auf Deutsch und Englisch), Edition Stein und Baum (Deutschland, Publikationen auf Deutsch) und Walking Tree Publishers (Schweiz, Publikationen auf Englisch). Die drei Verlage ergänzen sich in ihren Ausrichtungen und bieten der (west-) europäischen Tolkienforschung eine ideale Plattform für den Dialog und die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Tolkien-Forschern.
Auch die zunehmend bilinguale Ausrichtung von Hither Shore soll zur dringend notwendigen und erwünschten internationalen Zusammenarbeit beitragen. Denn, wie Gildor bemerkte: »Die weite Welt erstreckt sich rings um euch: ihr könnt euch absperren, doch könnt ihr sie nicht für immer aussperren.« Mit der Zweisprachigkeit von Hither Shore machen wir in diesem Sinne (sprachlich) einen Schritt in die Welt hinaus.
Thomas Honegger
Jena, November 2005