Rezension: Weltliteratur für Eilige

Rezension: Weltliteratur für Eilige

Die Faulheit des Menschen hat schon für viele kreative Lösungen in der Geschichte unserer Spezies gesorgt. Der kollektive Zeitmangel geplagter Literaturstudenten etwa führte dazu, daß es in ihrer jeweiligen Nationalsprache ein Lexikon (oder deren mehrere) gibt, die die Literatur in kurzer und fachlich korrekter Form zusammengefaßt wiedergeben. Wer als Germanistikstudent noch nicht von Kindlers Literatur Lexikon gehört haben sollte, sollte sich also möglichst bald die Studiengebühren zurückerstatten lassen.

Dank solcher Lexika muß sich der Student nicht mehr durch hunderte von Seiten quälen, sondern reduziert seinen Arbeitsaufwand auf ein oder zwei Spalten in besagter Publikation, die ihm zudem noch eine Kurzbiografie und Hinweise auf modernste Forschungsergebnisse liefert. Perfekt für den Kommilitonen, der mittwochs erfährt, daß bereits am Freitag das nächste Referat ansteht.

Nun muß ein Leser beileibe weder studiert noch faul sein, um sich der Weltliteratur widmen zu können; diverse Kurzvarianten sind aber ein möglicher Zugang. Für diejenigen, die einen schnellen Blick auf vermeintlich gute oder schlechte Literatur werfen wollen, bietet sich daher Henrik Langes Weltliteratur für Eilige an. Der schwedische Autor hatte mit seinem Erstling 80 romaner för dig som har bråttom (80 Romane für Leute, die es eilig haben) soviel Erfolg, daß mit 96 romaner för dig som fortfarande har bråttom (96 Romane für Leute, die es immer noch eilig haben) eine Fortsetzung erfolgte. In Deutschland hat Knaur diesen Schnellüberblick der Weltliteratur herausgebracht.

Direkt zu Beginn die frohe Botschaft: Der Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien ist selbstverständlich mit dabei. Zu den vorgeführten Büchern gehören auch Texte wie Schöne neue Welt/ Aldous Huxley, Die drei Musketiere/ Alexandre Dumas, Catch-22/ Joseph Heller, Ulysses/ James Joyce und Von Mäusen und Menschen/ John Steinbeck. Die Auswahl wirkt auf den ersten Blick willkürlich, da weder eine chronologische noch inhaltliche Kategorisierung vorliegt, aber der eine oder andere Leser mag die chaotische Anordnung durchaus als anregend empfinden.

Eine Kleinigkeit wurde bis zu diesem Zeitpunkt noch vergessen. Wie bereits erwähnt geht es ja darum, sich einen schnellen Überblick zu verschaffen. Henrik Lange setzt mit seinem Buch noch einen drauf, denn er verzichtet praktisch auf Text. Er ist Comic-Zeichner und reduziert den Inhalt der versammelten Klassiker der Weltliteratur auf normalerweise drei, kurz auskommentierte Bilder. Kürzer geht es nicht mehr. Als Beispiel ist der Comic-Strip zum Herr der Ringe gezeigt. Nur wenige Seiten weniger folgt der erste Band von C.S. Lewis’ Narnia, auch in knappster Form.

Beworben wird das Buch mit

Die originellste und unterhaltsamste Taschenbibliothek aller Zeiten! 90 Werke der Weltliteratur, erzählt in jeweils vier Bildern!

Wer kennt das nicht: zu viele Bücher und zu wenig Zeit. Auch das eigene peinliche Schweigen, wenn der Gesprächspartner plötzlich Proust, Thomas Mann oder Tolkien erwähnt. Dieses einzigartige Buch für Vielleser und Lesemuffel setzt klug und geistreich 90 erfolgreiche Werke der Weltliteratur in Szene.

‘Originell’ ist in diesem Zusammenhang natürlich mit Vorsicht zu genießen, denn bereits im Jahr 2002 erschienen etwa beim Comicmagazin MOGA MOBO die 100 Meisterwerke der Weltliteratur, die 2009 in neuer Form von der Ehapa Comic Collection herausgegeben wurden (um nur ein Beispiel zu nennen.) Da das Medium Comic seit Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen und sich als eigenes literarisches Genre etabliert hat, scheut es natürlich schon lange nicht mehr den Vergleich zu den “großen Autoren” der Vergangenheit. Lange macht sich das allgemeine Interesse an Literatur zunutze, um seine besondere und außergewöhnliche Art Humor in schwarz/weiß-Bildern umzusetzen.

Insgesamt erscheint Weltliteratur für Eilige weniger als Ersatz für Kindlers Literatur Lexikon (oder die eigene, tatsächliche Lektüre der Originalwerke), sondern eher als Gedächtnisstütze für Vielleser, die sich gerne mit einem Text auseinandersetzen wollen, ohne ihn noch einmal lesen zu müssen – oder um das eigene Verständnis eines Romans mit einer anderen Perspektive zu vergleichen. Langes provokante Verkürzung oftmals komplexer Inhalte kann sicherlich als interessante Diskussionsgrundlage dienen; siehe das Beispiel Romeo und Julia.

Bedauerlicherweise ist die Darstellung des Herr der Ringe falsch – aber das sollte den Literaturinteressierten nicht davon abhalten, den Vergleich zu anderen Literaten zu wagen. 90 Bücher warten darauf, neu (oder wieder-) entdeckt zu werden.

Marcel R. Bülles ist der Gründungsvorsitzende der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V., Mitglied im Board of Editors des wissenschaftlichen Jahrbuchs “Hither Shore” und Ansprechpartner seiner Gesellschaft bei der Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten, Berlin. Er gehört zu den beliebtesten internationalen Rednern zum Thema Tolkien und Mittelerde und hat bereits in Italien, der Schweiz, Großbritannien, USA, Kanada und Slowenien Vorträge zu seinem Lieblingsautor gehalten und ist Mitbegründer der Ring*Con. Vor kurzem erschien seine Übersetzung von Henry Gees “Die Wissenschaft bei Tolkien.” Als aktives Mitglied der DTG ist er u.a. Gastautor für die Webseite tolkiengesellschaft.de. Auf seinem Blog http://www.macrobee.de widmet er sich fantastischen Themen in allen Medien

This review takes a quick look at Henrik Lange’s treatment of ninety world literature classics and they way four panel comic strips can be used to reduce a story and still entertain.

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  • janein
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