Interview mit Julian Eilmann zu Tolkien’s Poetry

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Gerade ist in der Cormarë Serie von Walking Tree Publishers, dem schweizer Verlag, mit dem die DTG seit Jahren gemeinsam das Tolkien Seminar veranstaltet, die Nr. 28 erschienen. Unter dem Titel Tolkien’s Poetry sammeln Herausgeber Allan Turner und Julian Eilmann, Mitglied des Vorstands der DTG, Artikel zum Thema Lyrik bei Tolkien. Nach einer Einführung durch Michael Drout, folgen Artikel von Tom Shippey, John Holmes, Carl Phelpstead, Petra Zimmermann, Lynn Forest-Hill, Sue Bridgwater, Michael Joosten, Nancy Martsch und den Herausgebern selbst.

DTG-Pressesprecherin Marie-Noelle Biemer sprach nun mit Julian Eilmann über das Buch.

Wie bist du überhaupt dazu gekommen, dich wissenschaftlich mit Tolkiens Gedichten zu beschäftigen?

Dass ich mich in den letzten zehn Jahren so eingehend mit Tolkiens Lyrik befasst habe, ist eigentlich durch einen Zufall entstanden. Zwar hatten die Lieder und Gedichte in Tolkiens Werk auf mich – im Gegensatz zu vielen anderen Tolkien-Lesern – schon immer einen ganz besonderen Reiz ausgeübt, aber erst als ich im Jahre 2004 meinen ersten Vortrag für das zweite Tolkien Seminar vorbereitete, begann ich damit, mich auch wissenschaftlich mit Tolkiens Versen zu befassen. Geplant war dies ursprünglich nicht, denn zuerst wollte ich einen Vortrag zur Filmadaption des Herrn der Ringe halten. Da Tolkiens Verse auch in den Filmen rezitiert oder gesungen werden, befasste ich mich näher mit der Lyrik im Roman. Als ich dann schließlich feststellte, dass zu diesem Thema noch so gut wie gar keine akademischen Forschungen vorlagen, reizte es mich umso mehr, allein die Gedichte ins Zentrum des Vortrages zu rücken, denn hier konnte man als Forscher bildlich gesprochen noch „Neuland entdecken“. Aus dem Filmvortrag wurde dann erst einmal nichts, stattdessen vertiefte ich mich in den folgenden Jahren in Tolkiens Lyrik. So bin ich letztendlich Peter Jackson zu Dank verpflichtet, dass mich die Lieder und Gedichte in den Filmen zurück auf den Originaltext verwiesen haben. Bis heute fasziniert mich das Thema ungemein. Für unser Buch Tolkien’s Poetry habe ich dann die Chance ergriffen, nach all den Jahren zum Ursprung meiner Forschungen zurückzukehren und Tolkiens Lieder in den Herr der Ringe-Filmen genauer zu untersuchen. Die Ergebnisse hierzu finden sich in unserem Buch. Für mich hat sich damit auch, wie man sieht, in gewisser Hinsicht ein Kreis geschlossen. Wer dieses Jahr auf dem Tolkien Tag in Geldern (25.-26. Mai) oder dem Tolkien Thing (11.-14. Juli) ist, der kann gerne meinen Vortrag besuchen, in dem ich die Lieder in Roman und Film miteinander vergleiche.

Wie kam es zu der Idee, einen Band mit Aufsätzen über Tolkiens Gedichte herauszubringen?

Die Idee zu einem Sammelband zu Tolkiens Gedichten entstand auf dem Tolkien Seminar 2010 in Jena. Dort fragte mich Prof. Thomas Honegger, einer der Herausgeber des renommierten Tolkien-Fachverlages Walking Tree Publishers, ob ich Interesse daran hätte, einen Band zu Tolkiens Lyrik für die hauseigene Cormarë Serie des Verlages beizusteuern. Als jemand, der sich seit vielen Jahren mit Tolkiens Lyrik beschäftigt, hat mich diese Aufgabe natürlich sehr gereizt. Auch ist es natürlich eine große Ehre, dass man als junger Tolkien-Forscher mit der Aufgabe betreut wird, sich dieses noch kaum bearbeiteten Themas anzunehmen. Zum guten Gelingen des Buches trug dann sicherlich auch bei, dass ich das Projekt zusammen mit dem erfahrenen Tolkien-Forscher Dr. Allan Turner angehen durfte, der ein großer Kenner der linguistischen Grundlagen von Tolkiens Werk ist. Zwar hatte ich bereits 2011 mit Oliver Bidlo und Frank Weinreich eine Phantastik-Aufsatzsammlung herausgeben, aber Tolkien’s Poetry war noch einmal eine größere Herausforderung, was den Umfang und die internationale Ausrichtung des Projekts betrifft.

Wie bist Du nun auf passende Autoren gestoßen?

Bei der Suche nach Autoren haben wir zum Einen den klassischen Weg eines Call for Papers, also einer öffentlichen Einladung zu Mitarbeit, gewählt. Eine solche Einladung mit der Ausschreibung des Projektes wurde dann in den einschlägigen (Online-)Publikationen dem Fachpublikum bekannt gemacht, sodass sich Interessierte bei uns melden konnten. Neben dieser offenen Form der Einladung haben wir uns aber auch direkt an die bekannten internationalen Tolkien-Forscher gewandt, um diese für eine Mitarbeit zu gewinnen. Hierbei haben wir die Erfahrung gemacht, dass die meisten Forscher, die wir angesprochen haben, großes Interesse daran hatten, bei diesem „Neulandprojekt“ mitzumachen. Zwar konnten manche aufgrund anderer beruflicher Verpflichtungen nicht dabei sein, aber dennoch ist es uns gelungen, solche Größen der Tolkien-Forschung wie Tom Shippey oder Michael Drout mit ins Boot zu holen. Wir freuen uns aber auch darüber, dass wir neben diesen bekannten Autoren auch junge Tolkien-Wissenschaftler beteiligen konnten, die eine frische Perspektive mitbringen.

Was waren Deine Hauptaufgaben als Herausgeber des Buches?

Die zentrale Aufgabe als Herausgeber eines solchen Buches besteht darin, dass man den gesamten Veröffentlichungsprozess leitet und die Gesamtqualität des Werkes sicherstellt. Nachdem die Zielausrichtung des Projektes feststand, betreuten Allan und ich demnach unsere neun Autoren in allen Phasen des Arbeitsprozesses bis hin zur Veröffentlichung. Nachdem wir von den Forschern ein Exposé erhielten, reichen diese ca. ein Jahr später ihren Aufsatz ein, der dann von uns gelesen und beurteilt wird. Hierbei fungieren die Herausgeber als wissenschaftliche Berater und Erstleser, die den Autoren Rückmeldung darüber geben, ob der Aufsatz seine Thesen und Argumente möglichst überzeugend vermittelt. Dort, wo es notwendig erscheint, bitten wir die Autoren um eine Überarbeitung oder Ergänzung, was dann bedeutet, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine zweite oder dritte Version des Textes verfasst und ediert wird. Dieser notwendige Überarbeitungsprozess stellt jedoch keine Schikane der Herausgeber dar, sondern steht ganz im Zeichen eines gehaltvollen Gesamtwerkes. Wir Herausgeber nehmen uns aus diesem Redigierungsprozess auch nicht aus. So gab mir Allan wertvolle Hinweise zu meinem Aufsatz, die ich dann mit eingearbeitet habe. Durch das bisher Gesagte wird sicherlich deutlich, dass die Betreuung von insgesamt elf wissenschaftlichen Aufsätzen viel Zeit in Anspruch nimmt. Da Allan und ich die Arbeit an dem Buch neben unseren sonstigen beruflichen Aufgaben, in meinem Falle meiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer, erledigen mussten, wurde sehr viel Arbeit in unseren Mußestunden am Wochenende erledigt. Insgesamt tauschten Allan, der Verlag, die Autoren und ich über den gesamten Arbeitsprozess der drei Jahre hunderte, wenn nicht gar mehrere tausend E-Mail aus, die den immensen Aufwand hinter dem Buch dokumentieren.

Liegt Dir ein Gedicht oder Thema im Buch besonders am Herzen?

Dies ist eine schwierige Frage. Tolkien hat insgesamt mehr als 80 Gedichte im Hobbit und Herrn der Ringe integriert und darüber hinaus noch viele andere Verse geschrieben und veröffentlicht. Die Frage, ob ich ein Lieblingsgedicht habe, hatte ich mir trotz meiner langjährigen Beschäftigung mit Tolkiens Versen, bisher noch gar nicht gestellt. Tolkien hat so viele bezaubernde Verse verfasst, dass mir die Entscheidung für ein einziges schwer fällt. Wenn ich mich aber für ein Gedicht entscheiden müsste, würde ich Legolas „Song of the Sea“ wählen, ein Gedicht, das die existentielle Meeressehnsucht der Elben – ein zentraler Aspekt in Tolkiens Mythologie – besonders schön zum Ausdruck bringt. Neben der Lyrik stellt die Verbindung zwischen Tolkiens Werk und der Epoche der Romantik den zweiten Schwerpunkt meiner Forschungen dar. Da Legolas’ Gedicht die in Tolkiens Werk angelegte romantische Sehnsucht und das nostalgische Heimweh so bewegend ausdrückt, fasst es für mich Vieles, was Tolkiens Mythologie auszeichnet, zusammen:

To the Sea, to the Sea! The white gulls are crying,
The wind is blowing, and the white foam is flying.
West, west away, the round sun is falling.
Grey ship, grey ship, do you hear them calling,
The voices of my people that have gone before me?

I will leave, I will leave the woods that bore me;
For our days are ending and our years failing.
I will pass the wide waters lonely sailing.
Long are the waves on the Last Shore falling,
Sweet are the voices of the Lost Isle calling,
In Eressea, in Elvenhome that no man can discover,
Where the leaves fall not: land of my people for ever!“

(LotR, S. 935)

Das Cover wurde von der renommierten Illustratorin Anke Eißmann erstellt, die unter anderem auch für das Layout unserer Vereinszeitschrift Der Flammifer von Westernis zuständig ist. Gab es zum Cover irgendwelche Vorgaben von den Herausgebern oder hatte sie freie Gestaltungsmöglichkeit?

Dass wir Anke Eißmann für das Coverbild gewinnen konnten, war für Allan und mich eine große Freude, schätzen wir Anke doch als eine der begabtesten Tolkien-Künstlerinnen. Da Anke schon viele andere Walking Tree-Bände mit ihren stimmungsvollen Bildern verziert hat, war es eine naheliegende Wahl, bei ihr nachzufragen, ob sie uns unterstützen würde. Glücklicherweise erklärte sie sich hierzu bereit. Die Idee zu dem Bild geht auf mich zurück, denn hier hat Anke eine Szene illustriert, die mir ganz besonders am Herzen liegt. So findet sich im Herrn der Ringe eine Szene, in der die bezaubernde Kraft elbischer Musik (enchantment) und Poesie hervorgehoben wird. Als Frodo in Bruchtal der elbischen Poesie lauscht, versinkt in einem einzigartigen visionären Musiktraum:

At first the beauty of the melodies and the interwoven words in elventongues, even though he understood them little, held him in a spell, as soon as he began to attend to them. Almost it seemed that the words took shape, and visions of far lands and bright things that he had never yet imagined opened out before him; and the firelight hall became like a golden mist above seas of foam that sighed upon the margins of the world. Then the enchantment became more dreamlike, until he felt that an endless river of swelling gold and silver was flowing over him, too multitudinous for its pattern to be comprehended; it became part of the throbbing air about him, and it drenched and drowned him. Swiftly he sank under its shining weight into a deep realm of sleep. There he wandered long in a dream of music that turned into running water, and then suddenly into a voice. It seemed to be the voice of Bilbo chanting verses.

(LotR, S. 227)

Diese Szene hat mich seit jeher sehr bewegt und sie ist das wichtigste Zeugnis in Tolkiens Werk für die transzendieren Qualität elbischer Poesie. Dass Anke diesen Moment so faszinierend in Szene gesetzt hat, war für mich eine große Freude. Ein passenderes Bild könnte ich mir für das Buch gar nicht wünschen, und ich hoffe, dass es vielen Lesern ähnlich gut gefällt wie mir.

Wie lange hat es von der Idee des Buches bis zur Erscheinung gedauert?

poetry-eilmannjpgWie oben erwähnt, nahm das Projekt beim Tolkien Seminar im April 2010 seinen Anfang. Am 27. April diesen Jahres wird das Buch während des Tolkien Seminars in Aachen offiziell vorgestellt. Insgesamt hat das Projekt also fast exakt drei Jahre Zeit in Anspruch genommen. Für ein wissenschaftliches Fachbuch haben die Autoren und wir eigentlich sehr schnell gearbeitet, aber für einen Beteiligten sind drei Jahre intensiver Arbeit natürlich ein sehr langer Prozess. Umso mehr freut man sich dann, wenn man das fertige Produkt endlich in Händen halten kann und die viele Arbeit erfolgreich war. Ich wünsche Tolkien’s Poetry viele interessierte Leser. Falls es uns gelingen sollte, deutlich zu machen, das Tolkiens Werk ohne seine Lieder und Gedichte nicht dasselbe wäre, hätten wir unser Ziel erreicht.

Bild oben/auf dem Cover: Frodo’s dream of Eärendil von Anke Eißmann

 

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